Gutachten über ökologische Sachzwänge und Demokratie
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (kurz: SRU oder Umweltrat) hat gestern in Berlin ein im Juni diesen Jahres veröffentlichtes Sondergutachten vorgestellt und diskutiert: „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“. Kurz gesagt geht es um die derzeit sehr aktuelle Frage, wie Umweltpolitik sowohl wissenschaftlich fundiert als auch demokratisch legitimiert werden kann. Am Anfang steht die Diagnose, dass sowohl weltweit als auch in Deutschland selbst verschiedene ökologisch Belastungsgrenzen überschritten werden. Neben dem Klima sind vor allem der Stickstoffhaushalt und die Biodiversität betroffen. Ziel des Gutachtens sind Vorschläge zur Reform des Gesetzgebungsprozesses und der ressortübergreifenden Abstimmung.
Die Einleitung übernahm die Vorsitzende des SRU, Claudia Hornberg, Professorin für Umweltmedizin in Bielefeld. Deutschland habe zahlreiche anspruchsvolle Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele. Im politischen Alltag gerate ihre Umsetzung jedoch häufig ins Hintertreffen.
Zum naturwissenschaftlichen Hintergrund der Belastungsgrenzen referierte der Rat Wolfgang Lucht, Professor für Erdsystemanalyse aus Potsdam. Er wies auf das Vorsorgeprinzip und die Bedrohlichkeit der Risiken bei der Überschreitung planetarer Grenzen hin. Die Menschheit bewege sich in vieler Hinsicht ökologisch auf „dünnem Eis“. Es sei zwar oft unklar, wo Kippunkte mit katastrophalen Folgen seien, es sei aber klar, dass eine ungebremste Überschreitung fatale Folgen haben würde. Daher kommt es darauf an, Bereiche sicheren Handelns, eine Zwischenzone noch tolerierbarer Risiken und eine Zone unverantwortlicher Gefahr zu definieren.
Christian Calliess, Professor für Europa- und Umweltrecht von der Freien Universität schloss sich mit verfassungsrechtlichen Überlegungen an. Zum einen ging es dabei um die verfassungsrechtliche Begründung von Umweltpolitik, die sich aus der Menschenwürde und – was oft übersehen werde – auch aus den Freiheitsrechten herleiten lasse. Bezogen auf die von Wolfgang Lucht aufgezeigten absoluten Belastungsgrenzen ging es Calliess um die Begründung eines ökologischen Existenzminimums und korrespondierenden Schutzpflichten des Staates. Um Umweltkatastrophen abzuwenden, wäre der Staat an ein sogenanntes Untermaßverbot gebunden, das heißt demnach gibt es verfassungsrechtlich eine Mindestausstattung an Maßnahmen die zu ihrer Abwendung eingeleitet werden müssen. Schließlich ging Christian Calliess auch auf rechtspolitische Forderungen des Umweltrats ein. Viele der Forderungen orientieren sich an Instrumenten, die bereits aus der Finanzverfassung (Stichwort: „Schuldenbremse“) bekannt sind.
So soll so wie bisher das Finanzministerium in finanziellen Fragen auch das Umweltministerium in umweltpolitischen Fragen ein Vetorecht im Gesetzgebungsprozess bekommen. Zusätzlich soll nach den Vorstellungen des SRU ein Nachhaltigkeitsrat eingerichtet werden, der im Gesetzgebungsprozess ein suspensives Vetorecht hat. Dadurch sollen Gesetzgebungsvorhaben für eine dreimonatige Bedenkzeit ausgesetzt werden. Die Vorschläge des Umweltrates wurden anschließend von Ernst Ulrich von Weizsäcker und Patrizia Nanz kommentiert und in einer Podiumsdiskussion erörtert.