Das Recht auf eine effektiv verkehrs­be­ru­higte Zone

Kinder beim Hüpfspiel

Die Rhetorik mancher Lokal­po­li­tiker oder Stadt­planer lässt vermuten, dass Verkehrs­wende oder autoärmere Innen­städte eine ganz neue Idee sei. Tatsächlich reicht ein kurzer Spaziergang durch deutsche Städte, um immer wieder auf Relikte vergan­gener Versuche zu stoßen, etwas in Richtung Umwelt­verbund zu verändern: Hier ein Radweg, der – in einer Tempo-30-Zone liegend – inzwi­schen wieder zum Parkplatz umfunk­tio­niert wurde, dort eine zugemüllte Sitzbank oder mit Fahrrad­schrott zugestellte Fahrrad­bügel zwischen parkenden Autos. Ganz besonders oft gibt es sogenannte „Spiel­straßen“, eigentlich verkehrs­be­ru­higte Bereiche. Markiert werden sie durch das Verkehrs­zeichen 325.1, bzw. aufge­hoben durch 325.2 laut Anlage 3 zur StVO.

Verkehrszeichen 325.1 Verkehrsberuhigter Bereich

An vielen Orten sind verkehrs­be­ru­higte Bereiche in einem Zustand, dass in ihnen niemand spielen will oder sollte. Bis auf den letzten Quadrat­meter sind sie mit Kfz zugeparkt. Auf der verblei­benden Verkehrs­fläche wird mit einer Geschwin­digkeit gefahren, die in anderen Straßen auch üblich ist. Wenn sich doch mal ein Fußgänger auf die Fahrbahn verirrt, erntet er von anderen Verkehrs­teil­nehmern besten­falls gequältes Unver­ständnis, schlimms­ten­falls Drohungen oder motori­sierte Gewalt. Den meisten Menschen ist ihr Leben oder das ihrer Kinder lieb: Sie stecken daher zurück und gehen brav wieder dort, wo keine Gefahr besteht, angefahren oder bedrängt zu werden.

Das müsste eigentlich aber nicht so sein, dass Fußgänger die syste­ma­tische Missachtung von verkehrs­be­ru­higten Bereichen resigniert hinnehmen. Jeden­falls gibt es hierzu eine Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts (VG) Koblenz: Denn das musste über die Klage von Anwohnern einer Straße in Bad Kreuznach entscheiden. Die Kläger beklagten, dass ihre Straße intensiv durch Durch­gangs- und Berufs­verkehr genutzt werde und die Geschwin­dig­keits­be­schränkung (im verkehr­be­ru­higten Bereich: Schritt­tempo) nicht einge­halten würde. Daher könnten ihre Kinder nicht, wie vorge­sehen, auf der Straße spielen. Als Maßnahmen zur effek­tiven Verkehrs­be­ru­higung schlugen sie Schwellen oder andere Verkehrs­hin­der­nisse, Einrichtung eines Abschnittes mit Einbahn­stra­ßen­re­gelung und die Einrichtung einer Sackgasse vor.

Das VG hat ihnen recht gegeben. Zwar gibt es nach der Recht­spre­chung an sich keinen indivi­du­ellen Rechts­an­spruch auf Einrichtung eines verkehrs­be­ru­higten Bereichs. Aber wenn bereits einer einge­richtet wurde und die recht­lichen Voraus­set­zungen dafür gegeben sind, sieht es anders aus. Denn wenn der Bereich erst einmal angeordnet ist, müssen die Verkehrs­teil­nehmer sich auch danach richten können, ohne Gefahren für Leib und Leben in Kauf zu nehmen. Schon aufgrund der hohen Verkehrs­dichte in der Straße sei dies nicht möglich. Dementspre­chend muss nach der Verwal­tungs­vor­schrift zur StVO die Aufent­halts­funktion in einem verkehrs­be­ru­higten Bereich überwiegen und der Fahrzeug­verkehr darf nur eine unter­ge­ordnete Bedeutung haben. Nach Auffassung des Gerichts besteht daher ein Anspruch aus § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 b Nr. 4 und Abs. 9 Satz 2 StVO auf ermes­sens­feh­ler­freie Entscheidung bezüglich der Anordnung zusätz­licher verkehrs­recht­licher Maßnahmen.

Wie gesagt gibt es viele verkehrs­be­ru­higte Bereiche (sog. „Spiel­straßen“), die viel inten­siver und mit höheren Geschwin­dig­keiten vom Kfz-Verkehr genutzt werden als vorge­sehen. Daher ist die bereits vor einigen Jahren ergangene Entscheidung weiterhin praktisch von großer Bedeutung. Wenn Sie Fragen zu Konzepten der Verkehrs­be­ru­higung oder Verkehrs­wende in Ihrer Gemeinde haben, wenden Sie sich gerne an uns (Olaf Dilling).

 

2021-09-09T11:59:33+02:006. August 2021|Verkehr, Verwaltungsrecht|

Der gesperrte Parkplatz

Nicht nur Ampeln, auch Verkehrs­zeichen können für Unklarheit sorgen. Jeden­falls gibt es eine Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Schwerin, die dies deutlich macht. Darin geht es um einen großen Parkplatz, der in der Nähe des Bahnhofs gelegen ist. Wegen eines Fußball­spiels und eines dort geplanten Polizei­ein­satzes war der Parkplatz vorsorglich gesperrt worden.

Mit dem Verkehrs­zeichen 250 aus der Anlage 2 zur StVO. Im Volksmund heißt dieses Schild „Durch­fahrt verboten“. Die offizielle Bezeichnung ist dagegen „Verbot für Fahrzeuge aller Art“. Das Schild war mit Zusatz­zeichen versehen, die darauf hinwiesen, dass die Sperre an einem bestimmten Datum und nur von 15 bis 18 Uhr wirksam sein solle.

Was aus der Beschil­derung nicht hervorging: Ob zu dieser Zeit neben dem Ein- und Ausfahren auch das Parken verboten sein soll. Und tatsächlich standen zur Zeit des Polizei­ein­satzes hier einige Autos, die deshalb abgeschleppt wurden. Da einer der Kfz-Halter seinen Gebüh­ren­be­scheid angefochten hat, musste sich das Verwal­tungs­ge­richt mit der Frage befassen. Und es kam zu dem Schluss, dass das Zeichen „Verbot für Fahrzeuge aller Art“ tatsächlich neben dem fließenden auch den ruhenden Verkehr betrifft.

In fast allen Fällen ist dies auch verständlich. Denn wie soll man irgendwo parken, wenn man nicht zuerst irgendwie dort hinge­fahren ist. Aller­dings ist dies bei tempo­rären Straßen­sperren nicht ganz so eindeutig. Denn der Autofahrer steckt ja in der Regel nicht drin und kann oft nicht sagen, aus welchen Gründen eine temporäre Sperre ausge­sprochen wird. Das Gericht hatte jedoch sowohl die Anlage zur StVO genau gelesen, in der Fahrzeuge und nicht etwa die Durch­fahrt mit diesen Fahrzeugen verboten ist. Außerdem hat es in den Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien gefunden, dass der Gesetz­geber genau dies gewollt hatte: nämlich auch den ruhenden Verkehr mit diesem Schild zu verbieten.

Wir finden die Entscheidung des Gerichts zwar nachvoll­ziehbar. Aber ganz ehrlich gesagt, im Verkehr mit dem Schild hätten wir ohne Kenntnis der Recht­spre­chung auch nicht gewusst, dass neben dem Durch­fahren auch das Parken verboten ist (Olaf Dilling).

2021-04-12T23:34:39+02:0012. April 2021|Verkehr, Verwaltungsrecht|

StVO: Mehr Experi­mente wagen!

Wir hatten es schon einmal kurz angerissen. Die neue StVO sieht nicht nur höhere Strafen für Verkehrs­sünder vor. Sie soll auch mehr Verkehrs­expe­ri­mente – oder genauer gesagt – Maßnahmen zur Erprobung ermög­lichen. Diese waren nämlich zu häufig an der sehr restrik­tiven Ausrichtung des deutschen Straßen­ver­kehrs­rechts gescheitert. Zuletzt, wie wir bereits neulich berich­teten, Anfang diesen Jahres in Hamburg-Ottensen, wo für ein paar Monate probe­weise eine Fußgän­gerzone einge­richtet werden sollte.

Zur Eindämmung des Schil­der­walds war nämlich 1997 eine Regelung in die Straßen­ver­kehrs­ordnung eingefügt worden, die in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO Folgendes vorsieht: „Insbe­sondere Beschrän­kungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der beson­deren örtlichen Verhält­nisse eine Gefah­renlage besteht, die das allge­meine Risiko einer Beein­träch­tigung der in den vorste­henden Absätzen genannten Rechts­güter erheblich übersteigt“.

Von dieser hohen Anfor­derung waren durch die StVO-Reform Verkehrs­expe­ri­mente ausge­nommen worden. Aller­dings war das nicht die einzige Hürde, die im § 45 StVO für Einschrän­kungen des Verkehrs vorge­sehen ist. In § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO heißt es z.B., dass Verkehrs­zeichen und ‑einrich­tungen „zwingend erfor­derlich“ sein müssen. Nun, was ist schon zwingend erfor­derlich? Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt hatte jedoch bereits in einer älteren Entscheidung dazu geurteilt, dass die Regelung im Satz 3 des Abschnitts diejenige des Satzes 1 konkre­ti­siert und verdrängt. Schließlich heißt es „insbe­sondere…“, was auf einen Spezi­alfall deutet. Mit anderen Worten, wenn Satz 3 aufgrund der Ausnahme nicht anwendbar ist, also keine erheblich erhöhte Gefah­renlage für eine Verkehrs­re­gelung nötig ist, bleibt auch kein Raum dafür, sie statt­dessen als zwingend erfor­derlich anzusehen.

Insofern ist jetzt eigentlich der Weg frei für mehr Experi­mente. Der Zeitpunkt ist denkbar gut. Denn nach dem Energie­sektor soll nun auch der Verkehr nachhal­tiger gestaltet werden. Und die Städte leiden unter dem enormen und weiter wachsenden Platz­bedarf einer Verkehrs­po­litik, die lange Zeit zu stark am Automobil ausge­richtet war (Olaf Dilling).

 

2020-06-16T20:17:45+02:0016. Juni 2020|Verkehr|