VG Hannover: Kommunen können Gehwege freiräumen

Das Parken auf dem Gehweg vor dem eigenen Haus hat in Reihen­haus­sied­lungen gefühlt Grund­rechts­status. Aber wie ist es, wenn dadurch der Gehweg so verengt wird, dass das Passieren mit Zwillings­kin­der­wagen oder das Befahren mit Rollstühlen nicht mehr oder nur noch einge­schränkt möglich ist?

Schilderwald aufgesetztes Parken in Lübeck

Lübeck – beidseitig aufge­setztes Parken mit Baustel­len­be­schil­derung (Foto: A. Dilling)

Das Verwal­tungs­ge­richt Hannover hat mit Urteil vom 23.09.2025 (Az. 7 A 5302/23) über einen Fall entschieden, in dem die Straßen­ver­kehrs­be­hörde in einer Straße mit Reihen­häusern das halb aufge­setzte Parken untersagt und ein Haltverbot angeordnet hat. Die Rest-Gehweg­breite hatte 1,10 – 1,20 m betragen, so dass die Gehwege für mobili­täts­ein­ge­schränkte Personen nur mit erheb­lichen Behin­de­rungen nutzbar seien. Durch das einseitige Haltverbot konnte auch der andere Gehweg von parkenden Autos befreit werden, die nun am Fahrbahnrand parken sollen.

Der Kläger war der Auffassung, dass es keinen Bedarf gab, die seit 1966 bestehende Parkre­gelung zu ändern. Die StVO sehe keine Mindest­breite für Gehwege vor, das Verkehrs­auf­kommen sei gering und die Behörde habe sich nicht umfassend mit alter­na­tiven Vorge­hens­weisen auseinandergesetzt.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen, da es keinen Anspruch auf einen öffent­lichen Parkplatz gäbe. Die Neure­gelung sei in Anbetracht der örtlichen Gegeben­heiten und der geringen Gehweg­breite nicht zu beanstanden. Nur so sei gewähr­leistet, dass ausrei­chend Platz und Bewegungs­spiel­räume für die Feuerwehr auf der Fahrbahn bleiben sowie für mobili­täts­ein­ge­schränkte Personen und kleine Kinder, die den Gehweg mit dem Fahrrad nutzen.

Auf diese aktuelle Entscheidung hat mich der Geschäfts­führer der Arbeits­ge­mein­schaft Fahrrad­freund­licher Kommunen Bremen/Niedersachsen auf der von ihr organi­sierten Fußver­kehrs­tagung in Verden an der Aller hinge­wiesen. Dort habe ich über die Möglich­keiten der Kommunen zur Förderung des Fußver­kehrs bei der Anwendung der refor­mierten StVO vorge­tragen. Auf der Konferenz gab es spannende Vorträge und eine Exkursion zum Thema Sicher­heits­audit, die Gelegenheit bot, die Probleme auf der Straße anzuschauen und zu disku­tieren. Ich freue mich über den produk­tiven Austausch. (Olaf Dilling)

2025-09-26T11:19:34+02:0026. September 2025|Rechtsprechung, Verkehr|

BayVGH: Haltverbote zugunsten Bergwacht und Feuerwehr

Wer in den Bergen wohnt oder dort als Flach­länder schon mal Kurzurlaub gemacht hat, kennt das Problem: Überall da, wo es besonders schön und „einsam“ ist, drängen sich am Wochenende unzählige Urlauber, die überwiegend mit Kraft­fahr­zeugen anreisen und das letzte Stück auf der engen kurvigen Bergstraße bis zur Talstation der Bergbahn fahren wollen. Oft fehlt es dort dann an ebenen Flächen für Parkplätze, so dass sie die ohnehin knapp bemessene Fahrbahn dann zu allem Überfluss noch zuparken. Wenn dann noch viele Menschen ohne angemessene Ausrüstung und ohne Erfahrung, aber großen Ambitionen auf schwie­rigem Terrain unterwegs sind, hat die Bergwacht ein Problem. Denn im Unglücksfall kann sie nicht schnell genug zu Einsatzort kommen.

Die Gemeinde Marquart­stein in den Chiem­gauer Alpen hatte deshalb bereits 2015 auf der Zufahrt­straße zur Hochplat­tenbahn ein – zunächst zeitlich unbegrenztes – einge­schränktes Haltverbot erlassen. Dies war 2016 auf eine Klage einer Anwoh­nerin, die wohnortnah parken wollte, vom VG München aufge­hoben worden. Die Begründung des Gerichts war damals, dass eine objektive Gefah­renlage weder vorge­tragen noch augen­scheinlich sei.

Beliebtes Ausflugsziel Hochplatte bei Marquartstein

Von 2015 Michael 2015 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107241860

Nachdem sich während des ersten Pandemie-Sommers im August 2020 die eingangs veran­schau­lichte Proble­matik noch einmal verschärft hatte, wollte die Gemeinde dem erneut mit einem Haltverbot begegnen. Diesmal aller­dings beschränkt von 7 bis 18 Uhr. Außerdem bemühte sich die Behörde diesmal um eine detail­lier­terer Begründung aus Gründen der Rettungs­si­cherheit und der Zufahrt­mög­lichkeit der Bergwacht. Wieder klagte die Anwoh­nerin und bekam vor dem VG München recht: Diesmal wegen Bestands­kraft der vorhe­rigen Klage.

Die Gemeinde ging in Berufung und bekam Ende August 2025 vor dem Bayri­schen Verwal­tungs­ge­richtshof recht (Bayeri­scher VGH, Urteil vom 05.08.2025 – 11 B 24.489). Die Bestands­kraft stehe hier nicht im Weg. Sie würde sich nur auf die zuvor beurteilte Anordnung beziehen.

Entscheidend ist dabei entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht,  dass sie in wesent­lichen Punkten geändert sei, da sie zeitlich einge­schränkt und räumlich ausge­dehnter angeordnet wurde. Der Gerichtshof geht jedoch auf die Beson­derheit der straßen­ver­kehrs­recht­liche Anordnung ein. Hier habe die Behörde nach ständiger Recht­spre­chung eine Pflicht zur Darlegung und Dokumen­tation der Gefah­renlage als tatbe­stand­liche Voraus­setzung der Anordnung. Diese Darlegung und Dokumen­tation definiert in Abwei­chung vom Grundsatz der Amtser­mittlung auch das Prüfpro­gramm des Gerichts. Dementspre­chend hatte das Verwal­tungs­ge­richts sich auch auf die Prüfung der vorge­tra­genen Gründe der Behörde beschränkt.

Da es um Gefah­ren­abwehr gehe und um Verfas­sungs­güter des Lebens und der körper­lichen Unver­sehrtheit müsse die Behörde Gelegenheit haben, bei der Darlegung und Dokumen­tation nachzu­bessern und gegebe­nen­falls eine neue an die ermit­telte Gefah­renlage angepasste Anordnung erlassen können.

In der Sache reiche zur Beschränkung des ruhenden Verkehrs nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO (im Umkehr­schluss) eine einfache Gefah­renlage. Diese sei bereits bei einer konkreten Gefahr gegeben, d.h. bei hinrei­chender Wahrschein­lichkeit eines schädi­genden Ereig­nisses. Bereits einge­tretene Unfälle oder der jeder­zeitige Schadens­ein­tritt seien nicht erfor­derlich. Nach Darlegung der Behörde stehe

ernsthaft zu befürchten, dass ohne das angegriffene Haltverbot an Tagen mit hohem Verkehr, insbe­sondere Ausflugs­verkehr von und zum Parkplatz der Hochplat­tenbahn, Einsatz­fahr­zeuge von Feuerwehr, Bergwacht sowie Rettungs­dienst durch Parken in dem verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Bereich behindert werden und ihren Einsatzort nicht oder nicht in der gebotenen Zeit erreichen“.

Mit der Behin­derung der Rettungs­kräfte sei zugleich eine Gefahr für die Flüssigkeit und Leich­tigkeit und damit auch Sicherheit und Ordnung des Verkehrs verbunden. Im Übrigen reiche es nicht, die Regelung auf die Wochen­enden und Jahres­zeiten mit erhöhtem Besucher­auf­kommen zu beschränken. Denn die Übersicht­lichkeit der getrof­fenen Regelung und die Klarheit des Verbots würde unter einer so klein­tei­ligen Anordnung leiden.

Insgesamt eine spannende Entscheidung, die aufschluss­reich sowohl für die Grund­lagen des Verkehrs­ver­wal­tungs­rechts als auch für die spezi­fische Frage des Konflikts von Rettungs­si­cherheit mit anderen Flächen­nut­zungen, insb. dem ruhenden Verkehr, ist. (Olaf Dilling)

2025-09-09T02:44:33+02:009. September 2025|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|

StVO-Reform und VG Berlin: Doppelter Rückenwind für Kiezpoller

Aktuell gibt es aus Berlin starken recht­lichen Rückenwind für die dort sogenannten „Kiezblocks“, auch Super­blocks (in Barcelona: „superilles“) genannt. Zum einen sind das zwei Gerichts­ent­schei­dungen zu Pollern im Reuterkiez und in der August­straße, zum anderen die Reform der Straßen­ver­kehrs­ordnung, die noch bessere Möglich­keiten bietet, und in den Gerichts­ent­schei­dungen noch nicht richtig berück­sichtigt werden konnte.

Straße in Toronto, Kanada, mit Pollern und blauen Betonpflanzelementen.

Modal­filter in Toronto: Keine Probleme mit der StVO (Foto: Olaf Dilling).

Die Gerichts­ent­schei­dungen zeigen, dass Sperren für den Durch­gangs­verkehr je nach örtlichen Gegeben­heiten, Unfall­häu­figkeit und beglei­tenden Anord­nungen bereits nach „altem“ Straßen­ver­kehrs­recht möglich waren. Das soll hier nur kurz angerissen werden:

  • In der ersten Entscheidung zum Reuterkiez ging es – ähnlich wie in Barcelona – um ein System von Einbahn­straßen, die an bestimmten Kreuzungen mit sogenannten Modal­filtern ausge­stattet sind. Das sind Poller­reihen, die nur Fahrrad- und Fußverkehr ermög­lichen, aber für Kfz unpas­sierbar sind.
    Grund­sätzlich gilt im Straßen­ver­kehrs­recht für Verbote und Beschrän­kungen des fließenden Verkehrs das Erfor­dernis einer quali­fi­zierte Gefah­renlage gemäß § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO. Das heißt, dass die Wahrschein­lichkeit des Schadens­ein­tritts erheblich über dem Durch­schnitt (typischer Straßen) liegen muss.
    Eine Ausnahme gilt gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO für ein Verkehrs­konzept der Gemeinde zur Unter­stützung der städte­bau­lichen Entwicklung. Nach Auffassung des Bezirks lag ein solches Verkehrs­konzept vor. Das Konzept muss aber tatsächlich von der Gemeinde beschlossen worden sein (nicht auf unselb­stän­diger Bezirks­ebene, sondern in Berlin auf Ebene des Senats). Es muss außerdem so konkret sein, dass es von der Straßen­ver­kehrs­be­hörde ohne Zwischen­schritte umgesetzt werden kann.
    Weil beides aus Sicht des Gerichts nicht zutraf, hat es die Planungen des Bezirks nicht als Verkehrs­konzept nach § 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO zur Unter­stützung einer geord­neten städte­bau­lichen Entwicklung anerkannt. Das hatte zur Folge, dass die Anfor­de­rungen an die in den Straßen vorlie­gende Gefahr gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 3 StVO erhöht waren.
    Aber selbst diese quali­fi­zierte Gefah­renlage lag nach Auffassung des Gerichts vor: Wegen der Verkehrs­zahlen und der Zusam­men­setzung des Verkehrs bestand eine quali­fi­zierte Gefahr, die zu häufigen Unfällen geführt hat. Daher hat das Gericht in einem Eilbe­schluss den vorläu­figen Rechts­schutz der Kläger gegen die Poller zurückgewiesen.
    D.h. der Fall Reuterkiez zeigt, dass es bei entspre­chender Verkehrs­dichte und Unfall­wahr­schein­lichkeit durchaus möglich ist, eine Modal­sperre aufgrund einer quali­fi­zierten Gefahr gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 3 StVO ‑dem straßen­ver­kehrs­recht­lichen Normalfall – zu errichten.
  • In der zweiten Entscheidung, einem Urteil des VG Berlin, sollte der Modal­filter dazu dienen, eine Fahrrad­straße in der Tuchol­sky­straße „flankierend“ zu begleiten. Da für die Einrichtung einer Fahrrad­straße gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 StVO eine Ausnahme vom Erfor­dernis der quali­fi­zierten Gefahr gilt, war – so wie schon in der Eilent­scheidung des VG Berlin zum selben Fall – nur eine einfache Gefahr nachzuweisen.
    D.h. Ausnah­me­re­ge­lungen wie städte­bau­liche Verkehrs­kon­zepte und Fahrrad­straßen erleichtern es unter erleich­terten Bedin­gungen, Modal­sperren einzu­richten, die der Verkehrs­si­cherheit und der Erleich­terung des Fahrrad- und Fußver­kehrs dienen. 

Die Verzahnung von nachhal­tiger Stadt­planung und konkreter Regelung des Verkehrs ist seit der letzten Reform der StVO 2024 noch verbessert worden. Entscheidend ist insofern, dass inzwi­schen die Bereit­stellung von angemes­senen Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr unter erleich­terten Bedin­gungen möglich ist. Hier dazu einige Stichpunkte:

  • Zentral ist, dass durch die Reform die Einrichtung einer Sperre nicht mehr auf einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs begründet werden muss, sondern weitere Gründe, Umwelt- und Gesund­heits­schutz und städte­bau­liche Entwicklung zulässig sind,
  • dies setzt in der Regel ein Gesamt­konzept (das aber auch nur für bestimmte Verkehrs­arten oder ein Stadt­viertel gelten kann) voraus, in dem die zu erwar­tenden Effekte auf das Schutzgut (Umwelt, Gesundheit oder Stadt­ent­wicklung) darge­stellt werden. Typischer­weise muss das Konzept insgesamt zu einer Verkehrs­ver­la­gerung vom Kfz auf den Umwelt­verbund führen, um sich etwa umwelt- oder gesund­heits­chützend auszuwirken.
  • Leich­tigkeit und Sicherheit des Verkehrs spielen weiterhin eine Rolle, aber es geht nur darum, eine Verschlech­terung der Verkehrs­si­cherheit zu verhindern (z.B. durch Ausweich­ver­kehre) und bezüglich der Leich­tigkeit des Verkehrs abzuwägen. Die Leich­tigkeit gilt für alle Verkehrs­arten und wird in Bezug auf das Gesamt­system des Verkehrs betrachtet: Einzelne Verkehrs­arten müssen gegebe­nen­falls zurück­stehen. D.h. Modal­filter beein­träch­tigen zwar zweifellos die Leich­tigkeit des Kfz-Verkehrs, dies kann aber durch die Erleich­terung von Rad- und Fußverkehr sowie die positiven Effekte für Umwelt, Gesundheit oder Stadt­ent­wicklung (Aufent­halts­qua­lität) aufge­wogen werden.

Alles in Allem dürfte es in Zukunft rechtlich sehr viel leichter sein, Kiezblocks zu konzi­pieren und Modal­sperren anzuordnen und das auch mit den Mitteln des Straßen­ver­kehrs­rechts, das gegenüber straßen­recht­lichen Lösungen, insbe­sondere der Teilein­ziehung von Straßen­ab­schnitten, den Vorteil einer größeren Flexi­bi­lität und Bestimmtheit bietet. (Olaf Dilling)

2025-05-06T22:36:18+02:006. Mai 2025|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|