Gestohlener Strom und Netzentgelte: Zu KG Berlin, 12.7.2021 (2 U 48/18)
Dreipersonenverhältnisse sind schwierig, sogar im Energierecht: Wenn Energieversorger (EVU) und Netzbetreiberin einen Lieferantenrahmenvertrag schließen, und dann das EVU einen Stromliefervertrag mit einem Endkunden: Wer muss die Netzentgelte zahlen, wenn der Endkunde heimlich am Stromzähler vorbei Strommengen abzweigt, um eine Cannabisplantage zu betreiben?
Was klingt wie eine besonders vertrackt ausgedachte Examensaufgabe für Nachwuchsjuristen, hat sich nicht nur tatsächlich ereignet, es wurde auch vom Kammergericht (KG) Berlin am 12.07.2021 entschieden (2 U 48/18). Dieses urteilte, anders als das erstinstanzliche Landgericht (LG) Berlin, zugunsten des Netzbetreibers, so dass das EVU nun die auf die gestohlenen Strommengen entfallenden Netzentgelte verlangen kann.
Das KG stützte seine Entscheidung zunächst auf den Lieferantenrahmenvertrag. Dieser enthielt zwar keine Passage, nach der ausdrücklich auch für gestohlenen Strom Netzentgelte fließen sollten, aber dem KG reichte die Regelung, dass Netzentgelte fließen sollten für alle Mengen, für die der Netzbetreiber durch Gewährung des Netzzugangs die Belieferung erlaubt. Dies gilt für alle Strommengen, die ein Kunde überhaupt aus dem Netz der allgemeinen Versorgung bezieht, also auch am Zähler vorbei bezogenen Strom. Weil der Kunde mit der Cannabis-Plantage und das EVU einen All-Inclusive-Vertrag abgeschlossen hatten, sei auch der gesamte Strom als geliefert anzusehen, auch der gestohlene.
Das EVU hatte sich mit einer Widerlage darauf berufen, dass der Netzbetreiber einmal vor Ort war und den Zähler ausgetauscht hatte. Die Monteure hätte bemerken müssen, was in der Wohnung des Kunden vor sich geht. Dies aber überzeugte das KG nicht, es sei rein spkulativ.
Auch in Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Forderung überzeugte der Netzbetreiber den Senat, denn mangels gemessenem Strombezug musste geschäzt werden. Das EVU konnte also gegenüber dem Plantagenbesitzer auf Basis der Schätzung abrechnen, die berechneten Netzentgelte wären dann weiterzuleiten. Wegen dieser Kette nahm das KG an, dass im Verhältnis von Netzbetreiber und EVU letzterer hätte beweisen müssen, dass die geforderte Summe unzutreffend wäre, denn ansonsten hätte ja die paradoxe Situation entstehen können, dass das EVU gegenüber dem Kunden mehr hätte schätzen können als ihm selbst berechnet hätte werden können. Dann hätte das EVU an den durch den Diebstahl entstandenen Unsicherheiten sogar noch verdient. Nach Ansicht des KG war der Vortrag des EVU aber auch gar nicht geeignet, die Schätzung zu widerlegen.
Was bedeutet das nun für die Praxis? Vielleicht nur dies: Beim normalen All-Inclusive-Vertrag fallen auch für vom Kunden gestohlene Strommengen Netzentgelte an. Und eine plausible Schätzung des Netzbetreibers muss vom EVU schlüssig widerlegt werden, was angesichts des (auch hier) vorhersehbar unkooperativen Stromdiebs regelmäßig schwierig werden dürfte (Miriam Vollmer).