Keine Zerti­fikate für viele Industriekraftwerke?

Mit dem Versuch, die Zutei­lungs­regeln für Emissi­ons­zer­ti­fikate verständlich darzu­legen, hat die Verfas­serin dieser Zeilen schon Einiges an Lebenszeit verbracht. Klar schien bisher aber immer zu sein: An sich erhalten Anlagen, die am Emissi­ons­handel teilnehmen müssen, Zerti­fikate, die sich an der best verfüg­baren Technik einer­seits und ihren früheren Produk­ti­ons­zahlen anderer­seits orien­tieren, gekürzt anhand mehrerer, sehr umstrit­tener und je nach Sektor durchaus unter­schied­lichen Faktoren. Anlagen, in denen Strom erzeugt wird, bekommen in dieser Handel­s­pe­riode (2013 bis 2020) für die Strom­erzeugung dagegen keine Emissi­ons­be­rech­ti­gungen mehr kostenlos zugeteilt. Dies verbietet nämlich Art. 10a Abs. 1 UAbs. 3 aE der Emissi­ons­han­dels­richt­linie 2003/87/EG (EHRL).

Wann eine Anlage als ein solcher Strom­erzeuger anzusehen ist, der nach dem Willen des Richt­li­ni­en­gebers leer ausgehen sollte, regelt eine Definition in Art. 3 lit. u der EHRL, die lautet:

Strom­erzeuger‘ eine Anlage, die am 1. Januar 2005 oder danach Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt hat und in der keine anderen Tätig­keiten gemäß Anhang I als die ‚Verbrennung von Brenn­stoffen‘ durch­ge­führt werden.“

Doch dies ist nicht das letzte Wort der Richt­linie. Denn schließlich wäre es ökolo­gisch kontra­pro­duktiv, für Wärme aus Wärme­kesseln Zerti­fikate zuzuteilen. Aber für dieselbe Wärme aus der gekop­pelten und deswegen besonders effizi­enten Kraft-Wärme-Kopplung nicht. Daher existiert eine Ausnah­me­re­gelung in Art. 10a der EHRL, welche u. a. bestimmt, dass für Fernwärme und hochef­fi­ziente Kraft-Wärme- Kopplung im Sinne der Richt­linie 2004/8/EG Zerti­fikate in Bezug auf Wärme- und Kälte­er­zeugung kostenlos zugeteilt werden. Kommunale Heizkraft­werke etwa erhalten aufgrund dieser – in Deutschland im Treib­hausgas-Emissi­ons­han­dels­gesetz (TEHG) umgesetzten – Regelungen Zerti­fikate für ihre Fernwärme.

Doch nicht alle Anlagen, in denen Strom erzeugt wird, unter­fallen dieser Ausnahme. Es gibt eine Reihe von Indus­trie­kraft­werken, die keineswegs Fernwärme erzeugen und auch den Kriterien der KWK-Richt­linie 2004/8/EG nicht entsprechen. Gleich­zeitig handelt es sich aber bei buchsta­ben­ge­treuer Auslegung der vorstehend zitierten Regelung durchaus um Strom­erzeuger, denn oft verbrauchen die Unter­nehmen, die die Indus­trie­kraft­werke betreiben, nicht den gesamten Strom selbst, sondern stellen Überschüsse ins Netz oder liefern sie innerhalb von Indus­trie­parks an Dritte weiter. Gleichwohl hatten während des Zutei­lungs­ver­fahrens für die derzeit laufende Handel­s­pe­riode 2012 weder Betreiber noch die für die Zuteilung zuständige Deutsche Emissi­ons­han­dels­stelle (DEHSt) jemals erkennbare Zweifel daran, dass auch für diese Anlagen Zerti­fikate fließen sollten, denn schließlich gilt auch hier: Es gibt keinen. Grund, die Kraft-Wärme-Kopplung schlechter zu behandeln als die isolierte Erzeugung von Wärme in Kesseln.

Mit dieser Einigkeit ist es nun vorbei. In einem Gerichts­ver­fahren der Exxon­Mobil Production Deutschland GmbH hat die DEHSt nun vorge­tragen, dass der vom Unter­nehmen behauptete Mehrzu­tei­lungs­an­spruch schon deswegen nicht bestehen würde, weil die Anlage Strom­erzeuger sei und deswegen überhaupt keinen Zutei­lungs­an­spruch hätte.

Das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin zeigte sich dem Vernehmen nach in der mündlichen Verhandlung skeptisch. Es war schließlich nie Absicht des Richt­li­ni­en­gebers, Indus­trie­un­ter­nehmen von der Zuteilung auszu­schließen. Die Väter und Mütter der Richt­linie hatten es „nur“ auf die Strom­erzeuger abgesehen, weil diese ihrer Ansicht nach mit der Einpreisung der kostenlos zugeteilten Zerti­fikate unerwünschte Windfall Profits erzielt hatten. Gleichwohl durfte das VG Berlin nicht selbst den Vortrag der Behörde verwerfen, denn zur letzt­gül­tigen Auslegung von EU-Recht – wie eben der EHRL – ist nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) berufen. Diesem wurde die Frage der Zutei­lungs­fä­higkeit also vorgelegt (Rs. C‑682/17). Nun gilt Luxemburg nicht als das schnellste Gericht auf diesem Planeten. Es wird also noch etwas dauern, bis die Betreiber von Indus­trie­kraft­werken Sicherheit über die Frage haben, ob und unter welchen Bedin­gungen sie die für ihre Anlagen erhal­tenen Zerti­fikate behalten dürfen.

Aber warten auf Entschei­dungen von Gerichten sind die Anlagen­be­treiber im Emissi­ons­handel ja schon gewohnt.