Nachbarrecht: Die Wildkirsche als Grenzbaum
Bei „Grenzbaum“ denken viele Menschen vermutlich an rot-weiß-gestreifte Schlagbäume an Grenzübergängen. Tatsächlich regelt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) den Grenzbaum im Abschnitt über Nachbarrecht in § 923 BGB. Auch wenn diese Norm über auf Grundstücksgrenzen wachsende Bäume liebenswert antiquiert wirkt: Immerhin gab es dazu vor wenigen Jahren eine bemerkenswerte Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) München. Darin wurden zum Einen die nicht unkomplizierten Eigentumsrechte am Grenzbaum präzisiert. Zum Anderen wurde das Verhältnis von privaten und öffentlichen Recht geklärt. Denn Bäume sind, auch wenn sie auf privatem Grund stehen, in vielen Gemeinden durch Baumschutzsatzungen geschützt.
Doch zum Fall: Der Grenzbaum, um den es ging, war eine offenbar sehr stattliche Wildkirsche. Beim Bau eines Gartenhauses waren vom Beklagten auf seinem Grundstück Wurzeln des Baumes gekappt worden. Auch dies ist im BGB geregelt und an sich gemäß § 910 Abs. 2 BGB zulässig. Nur spricht die Norm von Wurzeln, „die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind“, was bei einem Grenzbaum gewisse Auslegungsprobleme mit sich bringt. Jedenfalls drohte, vermutlich wegen der gekappten Wurzeln, der Baum nach einem Sturm im folgenden Frühjahr zu kippen und musste kurze Zeit später gefällt werden.
Nun handelt es sich beim Holz der Wildkirsche (prunus avium) um das wertvollste Holz Europas. Der Kläger veranschlagte den Wert des Baumes daher mit 18.000 Euro und wollte die Hälfte davon, sowie die Fäll- und Beseitigungskosten vom Beklagten erstreiten. Allerdings hatte er sowohl erstinstanzlich wie auch vor dem OLG damit wenig Erfolg. Denn das Gericht war der Auffassung, dass der Beklagte die Wurzeln des Baumes schon aufgrund seines (Mit-)Eigentumsrechts an dem Baum abschneiden durfte.
Außerdem sei ein Schadensersatz auch nicht wegen eines möglichen Verstoßes gegen die örtliche Baumschutzsatzung zu leisten. Denn der Baum hätte zwar unzweifelhaft einen Stammumfang von über 80 cm, weshalb er demnach unter Schutz gestanden hätte. Allerdings sei die Baumschutzsatzung nicht zum Schutz des Nachbarn gedacht, sondern diene dem öffentlichen Interesse. Sie solle vielmehr die „innerörtliche Durchgrünung sicherzustellen, das Ortsbild zu beleben, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts“ erhalten und „schädliche Umwelteinwirkungen“ mindern. Mit anderen Worten sind Bäume in den Gemeinden durch die Baumschutzsatzungen zwar nach öffentlichem Recht geschützt. Ein Verstoß wirkt sich jedoch nicht auf die Rechtsverhältnisse der Nachbarn untereinander aus (Olaf Dilling).