Fernwärme: Veröf­fent­li­chung nicht vergessen!

Inzwi­schen hat es sich bei vielen Fernwär­me­ver­sorgern herum­ge­sprochen, dass die Praxis, Änderungen der Allge­meinen Versor­gungs­be­din­gungen – etwa die Preis­gleit­klausel – nur durch Veröf­fent­li­chung in Kraft zu setzen, vom OLG Frankfurt mit Entscheidung vom 21.03.2019 (Az.: 6 U 190/17) verworfen wurde. Unter­nehmen versuchen nun auf breiter Front, anste­hende Änderungen ihrer Preis­gleit­klauseln in Kraft zu setzen, indem sie alle Fernwär­me­kunden anschreiben (ausführ­licher auch hier).

Doch reicht das wirklich aus, um die laufenden Verträge zu ändern? Ein Blick in die Entscheidung des OLG Frankfurt macht zumindest aktuell hellhörig. Denn hier auf S. 6 der Entscheidung heisst es, dass § 4 Abs. 2 AVBFern­wärmeV nicht einen alter­na­tiven Weg zur Inkraft­setzung von Versor­gungs­be­din­gungen durch Veröf­fent­li­chung eröffne, sondern eine „(weitere) formelle Voraus­setzung für das Wirksam­werden derar­tiger Änderungen“ aufstelle.

Was bedeutet das nun für den Fernwär­me­ver­sorger? Er muss – anders als als Grund­ver­sorger für Gas oder Strom – sich um die Unter­schrift seines Kunden bemühen, aber – anders als der Versorger im Sonder­kun­den­ver­hältnis – zusätzlich noch veröf­fent­lichen. Andern­falls wird die Änderung der Versor­gungs­be­din­gungen nicht wirksam. Dieses Ergebnis mutet lebens­fremd an, zumal der entste­hende Mehraufwand am Ende in Gestalt von steigenden Kosten­auf­wänden allen Kunden zur Last fällt. Doch solange sich der Bundes­ge­richtshof (BGH) nicht klar anders posit­i­niert oder der Gesetz­geber die Regeln neu setzt und etwa der Grund­ver­sorgung Strom und Gas anpasst, sollten Versorger hier sorgfältig arbeiten, da ansonsten Rückfor­de­rungs­an­sprüche entstehen können (Miriam Vollmer)

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2020-04-09T16:00:22+02:009. April 2020|Vertrieb, Wärme|

Fernwärme: Der Fluch der Ölpreisbindung

In den letzten Tagen erlebt der Ölpreis bedingt durch die Corona­krise eine Talfahrt sonder­gleichen. Am heutigen Montag notiert der Ölpreis pro Barrel Brent auf 32,27 $, 46,3% der Einjah­res­no­tierung. Dies wird sich zeitver­setzt natürlich auch auf die direkt oder indirekt ölpreis­in­de­xierten Energie­preise auswirken.

Unschädlich ist dies dort, wo die eigene Kosten­struktur mit den den Letzt­ver­brau­chern in Rechnung gestellten Preisen mitschwingt. Zum Problem kann der rapide Sturz des Ölpreises aber bei der Fernwärme werden:

Für Preis­gleit­klauseln in der Fernwärme gilt § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV. Dessen S. 1 lautet:

Preis­än­de­rungs­klauseln dürfen nur so ausge­staltet sein, daß sie sowohl die Kosten­ent­wicklung bei Erzeugung und Bereit­stellung der Fernwärme durch das Unter­nehmen als auch die jewei­ligen Verhält­nisse auf dem Wärme­markt angemessen berücksichtigen.“

Neben den eigenen Kosten des Versorgers muss die Formel also auch den Wärme­markt abbilden, und zwar nicht den für Fernwärme, sondern alle Möglich­keiten, wie man Räume heizt. Die jüngere Recht­spre­chung legt es nahe, dass die eigenen Kosten und die Wärme­markt­ent­wicklung ungefähr gleich gewichtet werden; markt­üblich sind 60/40, man sieht auch 70/30. Das Markt­element ist also für die Entwicklung der Preise und damit für die Einnah­me­si­tuation der Unter­nehmen wichtig.

Tradi­tionell haben viele Unter­nehmen den Markt­index an den Ölpreis gebunden. Eine erste Erschüt­terung hat diese Praxis bereits durch die Entscheidung Bundes­ge­richtshof (BGH) vom 19. Juli 2017 (VIII ZR 268/15) erfahren. Hier hat der BGH der zweiten Instanz vorm Landge­richt (LG) Würzburg entge­gen­ge­halten, er habe die Praxis, den Markt durch nur einen Brenn­stoff abzubilden, keineswegs für unpro­ble­ma­tisch erklärt. Dies sei zunehmend kritisch zu betrachten und im Einzelfall zu prüfen (und damit auch für das versor­gende Unter­nehmen meist aufwändig darzu­legen). Rechtlich ist es damit nicht mehr empfeh­lenswert, das Markt­element durch leichtes Heizöl abzubilden. Mögli­cher­weise ist die Praxis rechtswidrig.

Die Ölpreis­ent­wicklung der letzten Wochen macht deutlich, dass diese Praxis auch wirtschaftlich schwierig ist. Denn wenn die eigene Preis­ent­wicklung nicht oder nur sehr teilweise ölpreis­ab­hängig ist, aber das Markt­element den Preis zur Verbrau­cher­seite hin nach unten regelt, verschlechtert sich die wirtschaft­liche Lage der Unter­nehmen ohne Not. Hier lohnt es sich, über eine Überar­beitung der Preis­klausel nachzu­denken, wenn nicht sogar in diesem Zuge die Preise und das Preis­system insgesamt neu zu kalku­lieren, um nicht nur die Preis­ent­wicklung nach unten wie nach oben abzuflachen und Spitzen zu vermeiden. Sondern auch die eigene Ergeb­nis­ent­wicklung vor so unvor­her­seh­baren Entwick­lungen wie aktuell zumindest ein Stück zu sichern (Miriam Vollmer)

2020-03-16T11:05:17+01:0016. März 2020|Wärme|

Fernwärme: Zur Entscheidung des LG Hamburg (312 O 577/15)

Kann ein Fernwär­me­ver­sorger Preis­gleit­klauseln per Veröf­fent­li­chung ändern? Die Branche war lange davon überzeugt. Dann entschied letztes Jahr das OLG Frankfurt mit Urteilen vom 21.3.2019, Az. 6 U 191/17 und 6 U 190/17 (hierzu hier), dies sei nicht möglich. Der Kunde müsste stets zustimmen. Änderungen des Fernwär­me­lie­fer­ver­trags per Veröf­fent­li­chung nach § 4 Abs. 2 AVBFern­wärme seien nicht einseitig möglich. Die Branche war geschockt. Derzeit läuft ein Revisi­ons­ver­fahren vorm BGH.

Eine weitere Entscheidung schlägt nun nicht nur in dieselbe Kerbe, sondern geht in ihren Konse­quenzen noch deutlich weiter: Mit Urteil vom 29.11.2019 (312 O 577/15) verur­teilte das LG Hamburg die Hansewerk Natur GmbH auf Betreiben der Verbrau­cher­zen­trale Hamburg in teilweise vergleich­barer Sache:

Das LG Hamburg schließt sich dabei zunächst der Ansicht des OLG Frankfurt an, dass eine Änderung von Fernwär­me­lie­fer­ver­trägen per Veröf­fent­li­chung nicht möglich sei. Da die Hansewerk dies aber in einem Anschreiben an ihre Kunden sugge­riert habe, ohne deutlich zu machen, dass es sich um eine jeden­falls nicht einhellige Rechts­an­sicht handelt, bejahte die Kammer eine wettbe­werbs­widrige Irreführung. Nach Ansicht des LG Hamburg ist die Hansewerk nicht nur verpflichtet, dies für die Zukunft zu unter­lassen. Die mit dem bemän­gelten Schreiben mitge­teilte Änderung der Preis­klauseln und Preise sei konse­quen­ter­weise unwirksam. Ein späteres, wohl zur Risiko­mi­ni­mierung versandtes Schreiben, in dem der Versorger den Kunden mitteilte, es gebe über die Wirksamkeit einsei­tiger Klause­län­de­rungen unter­schied­liche Ansichten und deswegen bitte er vorsichts­halber um die Zustimmung der Kunden, war dem Gericht nicht deutlich genug. Die Kunden wären nicht eindeutig darüber aufge­klärt worden, dass ohne ihr Einver­ständnis keine Klause­län­derung statt­finden würde.

Die Unwirk­samkeit der Klause­län­derung und der damit verbun­denen Preis­an­pas­sungen ist für einen Versorger unangenehm genug. Kunden könnten mögli­cher­weise überob­li­ga­to­risch gezahlte Gelder zurück­fordern. Doch im konkreten Fall forderte und erhielt die Kläger­seite noch mehr: Um die vom Gericht vermisste Klarheit auf Kunden­seite herbei­zu­führen, wurde der Versorger verur­teilt, alle betrof­fenen Kunden mit einem „Berich­tungs­schreiben“ anzuschreiben, dessen Wortlaut im Urteils­tenor vorge­geben wird. Hier soll es unter anderem heißen:

Wir stellen richtig:

Zu der von uns beabsich­tigten. einsei­tigen Änderung der Preis­gleit­klauseln in Ihrem Wärme­lie­fe­rungs­vertrag waren wir nicht berechtigt. Die einseitig abgeän­derten Preis­gleit­klauseln sind daher unwirksam. An ihrer Stelle gelten die Preis­gleit­klauseln, die zur Zeit unseres oben erwähnten Schreibens Vertrags­be­standteil waren, unver­ändert fort.“

Außerdem sind der Verbrau­cher­zen­trale die betrof­fenen Kunden in einer Tabelle mitzuteilen.

Für den Versorger ist die Entscheidung natürlich ein Desaster ersten Ranges, und auch für die Branche insgesamt nicht beruhigend. Derzeit läuft zwar noch ein Berufungs­ver­fahren beim OLG Hamburg (3 U 192/19). Doch die Versorger müssen sich insgesamt auf verschärfte Rahmen­be­din­gungen im Fernwär­me­segment einstellen. Das bedeutet: Verträge müssen regel­mä­ßiger als bisher überprüft und Änderungen mit unmiss­ver­ständ­lichen Schreiben an die Kunden begleitet und einver­nehmlich vorge­nommen werden (Miriam Vollmer).

2020-03-03T23:49:39+01:003. März 2020|Vertrieb, Wärme|