Vertrags­schluss am Telefon: Wann beginnt die Widerspruchsfrist?

Der Vertriebs­leiter Valk der Stadt­werke Oberal­theim GmbH stöhnt. Gut, die Grenzen des Wettbe­werbs­recht sind auch seiner Ansicht nach oft allzu eng. Aber was derzeit auf dem an sich beschau­lichen Strom­markt im Städtchen Oberal­theim vor sich geht, sprengt Valks bisherige Vorstel­lungs­kraft: Ein neuer, an Abgefeimtheit den alten Konkur­renten, die Stadt­werke Unter­al­theim GmbH, weit hinter sich lassender Wettbe­werber hat sich breit gemacht. Die Hyper-Strom UG hat offenbar nicht nur Kunden­werber losge­schickt, die an der Haustür älteren Oberal­t­heimern erzählen, die Stadt­werke Oberal­theim GmbH gingen demnächst pleite, und dann sitze jeder im Dunklen, der nicht recht­zeitig zu Hyper-Strom gewechselt sei. Hyper hat auch ein Call Center angeheuert, das von morgens bis abends die Bürger des Städt­chens anruft und mit offen­kun­digen Unwahr­heiten über die Stadt­werke Oberal­theim erstaun­liche Erfolge feiert.

Abmah­nungen der Hyper-Strom UG wegen Irreführung und Cold Calls laufen.  Doch wie bekommt Valk nun seine Kunden zurück? Leider melden sich nicht alle Opfer der dreisten Kampagne innerhalb der vierzehn­tä­gigen Frist ab Vertrags­schluss, die gem. § 312 g Abs. 1, § 355 Abs. 2 BGB, § 356 Abs. 2 Nr. 2 BGB für Fernab­satz­ver­träge u. a. über Strom gilt. Sind die Kunden jetzt ernstlich für volle 12 Monate an die Hyper-Strom UG gebunden?

Hier immerhin hilft dem Kunden – und damit Herrn Valk – § 1 Abs. 2 des Art. 246 EGBG. Hier ist geregelt, dass das Unter­nehmen den Verbraucher über sein Wider­rufs­recht hätte infor­mieren müssen. Die Telefo­n­agenten der Hyper-Strom UG haben dies aber nicht getan. Statt dessen wurde nur die Frage: „Wollen sie mit Hyper-Strom zuver­lässig versorgt werden?“, und das abgefor­derte „ja“ des Kunden elektro­nisch aufgezeichnet.

Wenn die Infor­ma­ti­ons­pflicht verletzt wurde, gilt die vierzehn­tägige Frist für die Wider­rufs­mög­lichkeit von Fernab­satz­ver­trägen nicht. Die Kunden haben deswegen 12 Monate und 14 Tage Zeit, die aufge­schwatzten Verträge zu wider­rufen, § 356 Abs. 3 BGB.

Das lässt Valk sich nicht zweimal sagen. Nun telefo­niert er. Und am Ende des Tages ist Valk erschöpft von längeren Gesprächen mit vorwiegend älteren Verbrau­chern des schönen Oberal­t­heims. Aber seine Kunden hat er alle, alle wieder (Miriam Vollmer).

 

 

2019-11-22T16:31:21+01:0022. November 2019|Strom, Wettbewerbsrecht|

Kommu­nal­recht: Amtsblätter sind keine Lokalzeitung

Ein Evergreen in der Hitliste der ungele­senen Schrift­stücke dürften Amtsblätter darstellen. Wie der Bebau­ungsplan in der Astrid-Lindgren-Siedlung demnächst genau aussieht oder wo die Pläne für das neue Einkaufs­zentrum ausliegen, dürfte außer den unmit­telbar Betrof­fenen kaum jemand mit Begeis­terung oder auch nur Interesse zur Kenntnis nehmen. Dabei stellen Amtsblätter eigentlich gute Möglich­keiten dar, als Stadt direkt mit den Bürgern zu kommunizieren.

Doch dem Ausbau der Amtsblätter von der dürren Infor­mation zu einer Art Stadt-Illus­trierter hat Grenzen. Dies hat bereits im letzten Jahr der Bundes­ge­richtshof (BGH) am 20.12.2018 festge­stellt (BGH I ZR 112/18). Hier hatte ein Zeitungs­verlag sich gegen die Konkurrenz gewandt, zu der sich das städtische Amtsblatt im schwä­bi­schen Crailsheim entwi­ckelt hatte. Laut BGH existiert nämlich ein Gebot der Staats­ferne der Presse, das direkt aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grund­gesetz (GG) fließt. Dieses sei auch eine Markt­ver­hal­tens­re­gelung im Sinne des § 3a UWG, so dass Wettbe­werber die Einhaltung einklagen könnten. Woran man ein nicht hinrei­chend staats­fernes Amtsblatt erkennt? Der BGH hält die Neutra­lität und die Zugehö­rigkeit zum gemeind­lichen Aufga­ben­be­reich bei Art und Inhalt der redak­tio­nellen Beiträge für ausschlag­gebend. Relevant sei auch das optische Erschei­nungsbild. Mit anderen Worten: Wenn ein Amtsblatt aussieht wie eine Illus­trierte und sich auch so liest, muss die Lokal­zeitung sich nicht gefallen lassen, dass es kostenlos verteilt wird und ihr so das Geschäft verdirbt. Homes­tories über den neuen Schüt­zen­könig und Inter­views mit dem Vorsit­zenden des Kanin­chen­züch­ter­vereins gehören also in die private Lokal­zeitung, nicht ins Amtsblatt. Gleich­zeitung stellte der BGH klar, dass es auch ein legitimes Recht der Gemeinde zur Infor­mation gibt, das in Baden-Württemberg aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 Abs. 1 Satz 1 LV BW, Art. 78 Abs. 1 Satz 1 NRW fließt.

Der Grundsatz der Staats­ferne der Presse ist nun auch einem städti­schen Angebot ihm Internet auf die Füße gefallen. Mit Datum vom 8.11.2019 (3 O 262/17) hat das Landge­richt (LG) Dortmund den Online-Auftritt der Stadt Dortmund für wettbe­werbs­widrig erklärt, nachdem der Verlag der Ruhr-Nachrichten auf Unter­lassung geklagt hatte. Tatsächlich ist das städtische Angebot ein bunter – und recht gelun­gener – Spiegel des städti­schen Lebens Dortmunds, in dem ähnlich wie in einem privaten Portal u. a. über die Meister­feier von Borussia Dortmund, ein nicht­städ­ti­sches Hospiz und eine Deutsche Meister­schaft im Unter­was­ser­rugby berichtet worden sei. Das werde den vom BGH aufge­stellten Grund­sätzen über Amtsblätter nicht gerecht.

Doch wie „verstaubt“ muss ein städti­sches Angebot nun sein, um nicht von Privaten abgemahnt werden zu können? Die Gerichte nehmen Einzel­fall­be­wer­tungen vor. Richt­schnur ist dabei die Ähnlichkeit mit der Lokal­presse offline und online. Wie so oft kommt es also auf den Einzelfall an (Miriam Vollmer).

 

 

2019-11-20T19:02:26+01:0020. November 2019|Verwaltungsrecht, Wettbewerbsrecht|

Risiko im Onlin­ever­trieb: Der falsche Kunde

Vor ein kaum auflös­bares Problem stellt der Bundes­ge­richtshof (BGH) Unter­nehmen im Onlin­ever­trieb mit einer Entscheidung vom 6. Juni 2019 (BGH I ZR 216/17):

Tatsächlich hatte sich hier – dies blieb offen – wohl ein Identi­täts­dieb­stahl zugetragen. Solche Fälle, in denen jemand für einen nichts ahnenden Dritten Waren oder Dienst­leis­tungen bestellt, gibt es immer wieder, vom Schul­jun­gen­streich mit der Pizza­be­stellung für den ungeliebten Lehrer bis hin zu schwerer Kriminalität.

Der angeb­liche Kunde zahlte natürlich nicht, wurde gemahnt, Inkas­so­dienst­leister und ein Anwalt traten auf den Plan, bis der Verbraucher sich meldete und die Angele­genheit sich aufklärte. Nachdem festge­stellt wurde, dass hier wohl tatsächlich ein Dritter die Bestellung aufge­geben hatte, stornierte das Unter­nehmen die offenen Forderungen.

Norma­ler­weise hat es damit sein Bewenden. In diesem Fall klagte jedoch die Verbrau­cher­zen­trale Baden-Württemberg: Es liege eine Wettbe­werbs­ver­letzung vor. Diese Behauptung stützt die Verbrau­cher­zen­trale auf § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 und berief sich weiter auf Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, weil Mahnung und Rechts­ver­folgung die konklu­dente Behauptung enthielten, der Verbraucher hätte eine Bestellung aufge­geben. Dies sei eine unwahre Angabe über die Bedin­gungen, unter denen die Dienst­leistung erbracht würde. Die Verbrau­cher­zen­trale beantragte deswegen, es dem Unter­nehmen zu unter­sagen, an Verbraucher Zahlungs­auf­for­de­rungen zu versenden bezie­hungs­weise versenden zu lassen, mit denen eine Zahlungs­pflicht behauptet wird, obwohl der Verbraucher keine Dienst­leistung beauf­tragt hat.

Wie die vorher­ge­henden Instanzen gab nun auch der BGH der Verbrau­cher­zen­trale recht. Eine unwahre Behauptung liege vor, weil der Verbraucher ja tatsächlich nichts bestellt hatte. Diese unwahre Behauptung sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäft­lichen Entscheidung zu veran­lassen, nämlich zur Zahlung.

Ausdrücklich meint der BGH, dass es nicht darauf ankomme, ob das Unter­nehmen selbst von einem Drittel getäuscht wurde. Selbst dann, wenn ein Unter­nehmen sich in einem nicht vorwerf­baren Irrtum befindet, also selbst guten Glaubens handelt und auch gar keine Möglichkeit hat, den Irrtum zu bemerken.

Mit dieser Entscheidung rückt der BGH von seiner früheren, großzü­gi­geren Recht­spre­chung ab. Unter­nehmen im Onlin­ever­trieb stellt dies vor ein Dilemma: Wie soll denn nun eigentlich sicher­ge­stellt werden, dass derjenige, der beispiels­weise einen Strom­lie­fer­vertrag abschließt, tatsächlich der ist, als der er sich ausgibt? Die Zähler­nummer kennt ja beispiels­weise auch ein Nachbar oder der frühere Partner auf Rache­feldzug. Anders als bei einem Besuch im Kunden­zentrum sieht der Vertrieb den Vertrags­partner nicht einmal, und die mit dem neuen Perso­nal­ausweis immerhin technisch mögliche Signatur hat sich im Verkehr bisher nicht durchgesetzt.

Zwar werden natürlich nur die wenigsten solcher Fälle abgemahnt. Für Unter­nehmen ergeben sich aber gerade im Massen­ge­schäft wie mit Strom und Gas Risiken, gegen die wohl schlechthin kein Kraut gewachsen ist.

2019-09-25T17:40:42+02:0025. September 2019|Vertrieb, Wettbewerbsrecht|