Datteln IV: Von Münster nach Leipzig und zurück

Umwelt­rechtler wissen, es gibt in Deutschland ein Umwelt­recht vor und nach „Trianel“.(Das Urteil des EuGH vom 12.05.2011 finden Sie hier). Anhand des Kohle­kraft­werk­pro­jekts aus Lünen (bzw. mit Bezug dazu) wurden viele Aspekte des deutschen Verwal­tungs­pro­zess­rechts und der Klage­be­fugnis von Umwelt­ver­bänden durch­ex­er­ziert, angefangen von der Schutz­norm­theorie bis hin zur Präklusion und der Beweislast. „The fish cannot go to Court“ und der Vergleich des deutschen Verwal­tungs­pro­zess­rechts zu einem Ferrari, für den man keinen Schlüssel habe und der daher zwar schön, aber nutzlos sei, sind geflü­gelte Aphorismen im Umwelt­recht geworden. Doch es gibt nicht nur Trianel, gegen das weiterhin Verfahren laufen. Es gibt auch noch Datteln IV, das jüngste Kohle­kraftwerk der Republik. 

 

An dieser Stelle wurde bereits ein Kasten Bier darauf verwettet worden, dass der 1.050 MW Monoblock der Uniper doch wohl vor dem Aus stehen würde. Das OVG Münster hatte schließlich mit drei Urteilen vom 26.08.2021 den vorha­ben­be­zo­genen Bebau­ungsplan Nr. 105a für den Block Datteln IV für nichtig erklärt und damit die gemeind­liche Absicht der Stadt Datteln durch­kreuzt, endlich einen wirksamen Bebau­ungsplan für das Kraftwerk aufzu­stellen. Ohne die baupla­nungs­recht­liche Zuläs­sigkeit der Anlage geht es schließlich nicht und diesbe­züglich sah es tatsächlich zuletzt sehr eng aus. Nach Ansicht des OVG Münster sei die regio­nal­pla­ne­rische Stand­ort­fest­legung fehlerhaft gewesen. So hat das OVG angenommen, dass der Suchraum für alter­native Standorte auf den gesamten Zustän­dig­keits­be­reich des Regio­nal­ver­bands Ruhr zu erstrecken sei. Man hätte also auf einer viel größeren Fläche nach einem Standort für ein Kraftwerk suchen müssen. Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt in Leipzig ist dem nun nicht gefolgt und hat die angefoch­tenen Urteile mit Urteilen vom 07.12.2023 aufge­hoben und die Sache zur ander­wei­tigen Verhandlung und Entscheidung an das OVG zurück­ver­wiesen. Aus Sicht der Leipziger Bundes­richter habe das OVG den Bebau­ungsplan mit rechtlich nicht tragfä­higen Erwägungen für unwirksam erklärt. Damit hat sich Datteln IV – ein wenig wie Baron Münch­hausen – am eigenen Schopfe aus dem Sumpf gezogen. Ein Klage­ver­fahren gegen die immis­si­ons­schutz­recht­liche Geneh­migung von 2017 beim OVG Münster gibt es indes auch noch. Dieses ruhte jedoch im Hinblick auf das Verfahren vor dem Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt. Wie es also mit Datteln IV weitergeht, bleibt abzuwarten (genauso wie die schrift­lichen Urteils­gründe des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts). Es ist inzwi­schen jedoch gut möglich, dass das Kraftwerk doch noch – wie geplant – bis 2038 laufen wird.

Die BNetzA ist doch nicht Gott: Zu OLG Düsseldorf, 26 U 6/22

Das Völker­recht kennt es schon lange: Das sogenannte Soft Law, also Regelungen, die mehr sind als nichts, aber weniger als etwa verbind­liche Verträge. Manche beschreiben dieses Soft Law als werdendes Recht, ein Konsens in der Entstehung, quasi die Raupe vorm Schmet­terling voll bindenden Gewohnheitsrechts.

Manche Bundes­be­hörden, aber auch die europäische Kommission, produ­zieren rein faktisch etwas Ähnliches: Durch eine Fülle von Guidances, Leitfäden, FAQ, füllen sie die oft erheb­lichen Lücken, die die Gesetze und Verord­nungen lassen. Oft werden Regel­werke erst durch diese Erläu­te­rungen halbwegs handhabbar. Bisweilen sind sie mit dem Wortlaut aber nur schwer vereinbar.

Dass Leitfäden trotzdem unver­bindlich sind und bleiben, hat nun das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung ausge­sprochen, in der es u. a. um den Leitfaden der Bundes­netz­agentur (BNetzA) zur Eigen­ver­sorgung ging (OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.05.2023, 26 U 6/22).

Nach dem Leitfaden sollte es nicht möglich sein, dass Betreiber älterer Bestands­an­lagen nach dem 01.09.2011 die Versorgung aus eigenen Erzeu­gungs­an­lagen auf andere Standorte ausdehnen, ohne dass die volle EEG-Umlage anfallen sollte. Gestützt auf diesen Leitfaden verlangte die Klägerin des Verfahrens, der Übertra­gungs­netz­be­treiber, die Mitteilung über umlage­pflichtige Strom­mengen und sodann die Zahlung der EEG-Umlage. Der ÜNB brachte dabei vor, der Gesetz­geber hätte die Ansicht der BNetzA übernommen, es gebe deswegen für diese Gruppe keinen Bestandsschutz.

Dies sah das OLG Düsseldorf anders. Historie und Wortlaut sprächen gegen eine einschrän­kende Auslegung, wie die BNetzA sie für richtig hält. Der Bestands­schutz für die älteren Eigen­erzeu­gungs­lö­sungen bezögen sich nicht nur auf die Anlage an sich, sondern sei weiter. Der Leitfaden der BNetz, auf den sich der ÜNB bezieht, sei nur eine Rechts­meinung, über die das Gericht schreibt:

Für die Geset­zes­aus­legung ist der Leitfaden, der weder eine Festlegung darstellt, noch den Charakter einer Verwal­tungs­vor­schrift hat (Leitfaden S. 3), nicht verbindlich. Es handelt sich vielmehr um eine zusam­men­fas­sende Verlaut­barung der Regulie­rungs­be­hörde, mit der sie ihre Haltung zu bestimmten Themen­kom­plexen und den davon betrof­fenen Rechts­fragen bekannt macht“

Für die Rechts­an­wender heißt das: Der Verweis auf Leitfäden o. ä. ist keine hinrei­chende handlungs­lei­tende Grundlage. Den Blick ins Gesetz ersparen diese Dokumente nicht. Die Behörden sollten entspre­chend gerade bei kontro­versen und vom Geset­zes­wortlaut keineswegs eindeutig zwingenden Rechts­mei­nungen zurück­haltend agieren, denn verein­fachen können sie eine komplexe Rechts­praxis nicht, sie können ihre Anwendung aber durch starke Meinungen deutlich erschweren.

 

2023-10-14T01:19:00+02:0014. Oktober 2023|Energiepolitik, Strom|

BFH bestätigt: Keine Umsatz­steuer auf „fiktive“ Stromlieferungen

Wir hatten es Ende letzten Jahres schon einmal kurz mitge­teilt: Die Finanz­ge­richts­barkeit geht – anders als bislang die Finanz­ämter – davon aus, dass bei dezentral gelie­fertem Strom, der nie physisch in das Netz einge­speist wurde, keine Umsatz­steuer anfällt. Inzwi­schen wurde diese Auffassung des Bundes­fi­nanzhofs (BFH) durch eine weitere Entscheidung bestätigt. Nunmehr vertritt neben dem XI. Senat auch der V. Senat diese Auffassung.

Eigentlich klingt es nach einer Selbst­ver­ständ­lichkeit, dass Strom­lie­fe­rungen, die nie in einem physi­ka­li­schen Sinn geflossen sind, auch nicht besteuert werden können. Aber die Finanz­ver­waltung, die ihre Auffassung sogar im Umsatz­steu­er­an­wen­dungs­erlass (unter Punkt 2.5 Absatz 2) festgelegt hat, geht wohl von dem Prinzip aus, dass jemand, der aus einem Grund bestimmte Rechte hat, auch die Pflichten tragen soll. Und immerhin war es im zu entschei­denden Fall so, dass gemäß § 4 Absatz 3a Satz 2 KWKG 2009 ein KWK-Zuschlag auch dann fällig war, wenn der Strom dezentral verbraucht und nicht ins Versor­gungsnetz einge­speist wird. Insofern spricht man von einer fiktiven Strom­lie­ferung oder von kaumän­nisch-bilan­zi­eller Einspeisung.

Aller­dings hat der BFH in seiner Begründung festge­stellt, dass die Zahlung des KWK-Zuschlags nicht zu einer Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG führen würde. Auch eine sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 UStG läge nicht vor. Er verweist in dieser Frage auf die Entscheidung des XI. Senats.

Letztlich ergab sich nämlich aus dem KWKG nur eine gesetz­liche Zahlungs­pflicht für den Netzbe­treiber. Der Zuschlag hat den Charakter einer energie­po­li­tisch bedingten Förderung, die über den Netzbe­treiber abgewi­ckelt wird. Daraus folgt weder, dass der Zahlende tatsächlich der Empfänger einer Lieferung ist und schon gar nicht, dass der Zahlende auch die sonstigen Pflichten einer solchen Lieferung tragen muss. Daher gilt für das Steuer­recht, dass eine Lieferung nur für Strom angenommen werden kann, der tatsächlich einge­speist und vom Netzbe­treiber vergütet wurde. (Olaf Dilling)

2023-09-08T14:59:37+02:008. September 2023|Energiepolitik, Rechtsprechung, Strom, Wärme|