Okay. Paukenschlag: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält die Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) für rechtswidrig (hier finden Sie das Urteil). Sie sei nicht mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 vereinbar. Der deutsche Gesetzgeber wäre verpflichtet, alle Stromleitungssysteme als Verteilernetze zu behandeln, außer, die Richtlinie selbst erlaubt Ausnahmen. Eine entsprechende Ausnahme für die deutsche Kundenanlage gibt es aber nicht.
Wieso ist das wichtig?
Stromnetze zu betreiben bedeutet Aufwand. Zum einen müssen Netzbetreiber einen ganzen Sack voll Pflichten erfüllen. Zum anderen fallen Netzentgelte und Umlagen an, wenn Strom durch ein Stromnetz transportiert wird. Im Umkehrschluss bedeutete dies: Strom, der auf dem Weg von der Erzeugungsanlage zum Kunden kein Stromnetz passierte, sondern in der Kundenanlage blieb, war günstiger als Strom aus dem Netz. Auf diesem Prinzip beruht die Wirtschaftlichkeit vieler dezentraler Stromversorgungskonzepte im Quartier. Auch viele Produktionstandorte profitierten von der Möglichkeit, in der Kundenanlage in KWK-Anlagen zu erzeugen und zu verbrauchen.
Was bedeutet die Entscheidung?
Laut EuGH ist diese Ausnahme rechtswidrig. Deutschland ist nicht berechtigt, räumlich zusammenhängende Leitungssysteme über mehrere Gebäude mit einigen hundert Letztverbrauchern und mit bis zu 10.000 qm Fläche und 1.000 MWh/a transportierter Menge von den Regeln für Verteilernetze auszunehmen. Die Betreiber dieser Kundenanlagen müssen also künftig alle Regelungen für Verteilernetzbetreiber erfüllen, von der schieren Genehmigungspflicht angefangen bis zu den Melde- und Publikationspflichten, aber vor allem darf nicht mehr netzentgelt- und umlagefrei geliefert werden.
Neben diesem Mehr an Kosten und Bürokratie hängen am Begriff der Kundenanlage aber eine Vielzahl weiterer Rechtsfolgen. Vom Mieterstrom bis zum StromPBG spielt die Einordnung als Kundenanlage oder Verteilernetz eine oft zentrale Rolle.
Was ist nun zu tun?
Unternehmen, die Kundenanlagen betreiben, müssen nun erst einmal prüfen, welche Konsequenzen sich für sie konkret ergeben. Zwar gelten Urteile an sich nur zwischen den Parteien des entschiedenen Rechtsstreits. Aber nachdem der EuGH gesprochen hat, müssen und werden sich Behörden, Gerichte, auch Übertragungsnetzbetreiber, daran orientieren.
Viele Fragen sind noch offen. Wie sieht es mit der betrieblichen Eigenversorgung aus? Macht es generell einen Unterschied, ob Dritte versorgt werden? Wie ist mit der Vergangenheit umzugehen? Teilweise müssen sicherlich Verträge geändert werden. Teilweise ändern sich ganze Kalkulationen. Viele Unternehmen werden prüfen, ob Anträge nach § 110 EnWG Sinn ergeben. Aber klar ist auch: Viele dezentrale Erzeugungsprojekte rechnen sich so nicht mehr. Hier ist die Politik gefragt, von den Möglichkeiten der Richtlinie durch Änderung des EnWG Gebrauch zu machen, um zumindest für einen Teil der Fälle Befreiungen von der Netzregulierung zu ermöglichen. Die politische Lage spricht aber eher dafür, dass eine solche zumindest partielle Lösung mindestens auf sich warten lassen wird (Miriam Vollmer).
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