Was tun bei geplatzter Mitgliederversammlung?

Demokratie und Mitbe­stimmung ist auf Versamm­lungen angewiesen. Dies gilt für Parteien genauso wie für Vereine und Gesell­schaften. Zu Pande­mie­zeiten ist das zunächst mal ein Problem. Denn tradi­tionell werden Versamm­lungen unter physisch anwesenden Personen abgehalten. Denn schließlich geht es bei gelebter Demokratie nicht nur darum, abzunicken, was „von oben“ vorge­geben wurde. Es geht auch darum, in Echtzeit-Inter­aktion Fragen zu stellen, inhalt­liche Vorschläge zu machen und Unaus­ge­go­renes zu konkre­ti­sieren. Mit anderen Worten geht es darum, sich vor „versam­melter Mannschaft“ eine Meinung zu bilden und Einfluss auf die zur Abstimmung stehenden Alter­na­tiven zu nehmen.

In vielen Fällen ist diese Art Meinungs­bildung in physi­scher Anwesenheit aktuell nicht möglich: Es fehlen geeignete Räumlich­keiten, um Abstände einzu­halten, ganz abgesehen davon, dass öffent­liche Versamm­lungen über einer bestimmten Anzahl an Anwesenden oft gar nicht zulässig sind. Es liegt insofern nahe, Parteitage, Mitglie­der­ver­samm­lungen oder Haupt­ver­samm­lungen von Aktio­nären zu verschieben, in virtu­eller Form statt­finden zu lassen oder durch ein schrift­liches Abstim­mungs­ver­fahren zu ersetzen. Aber ist das rechtlich überhaupt möglich?

Der Gesetz­geber hat sich mit dieser Frage dieses Jahr wiederholt befasst. Bereits zu Anfang der Pandemie hat er ein kurzes Gesetz mit langem Namen erlassen: „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts‑, Genossenschafts‑, Vereins‑, Stiftungs- und Wohnungs­ei­gen­tums­recht zur Bekämpfung der Auswir­kungen der COVID-19-Pandemie“ vom 27.03.2020. Begrenzt wurde die Wirksamkeit des Gesetzes zunächst bis Ende diesen Jahres. Es zeichnet sich aber bereits jetzt ab, dass die Regelungen im Wesent­lichen verlängert werden dürften.

Im Kern beinhaltet das Gesetz zwei Erleich­te­rungen für Vereine und Stiftungen:

#Der Vorstand bleibt bis zur Abberufung oder Bestellung eines Nachfolgers im Amt. Dies auch, wenn die Satzung keine entspre­chende Übergangs­klausel enthält.

#Abwei­chend von der Regelung über die Mitglie­der­ver­sammlung in § 32 BGB ist auch eine virtuelle Teilnahme an der Versammlung möglich. Zudem führt das Gesetz Möglich­keiten schrift­licher Abstim­mungs­ver­fahren ein.

Auch im Gesell­schafts­recht wurden Möglich­keiten virtu­eller Beschluss­fassung einge­räumt. Dabei bringt das Verfahren zum Teil Nachteile für Einzel­ak­tionäre mit sich: So wurden die Frage­rechte stark einge­schränkt. Es gibt nunmehr die Möglichkeit, Fragen nur zuzulassen, wenn sie vorab schriftlich einge­reicht wurden.

Was die Parteien angeht, hat der Gesetz­geber diesen Monat die Regelungen über Parteitage und Mitglie­der­ver­samm­lungen mit gewissen Abstrichen, z.B. die Änderung von Satzungen, an die Regeln für Vereine angeglichen. Das heißt, dass auch ohne ausdrück­liche Regelung in der Satzung Parteitage virtuell abgehalten werden können.

Eine Einschränkung von Frage­rechten wie im Aktien­recht dürfte für virtuelle Versamm­lungen nicht zwingend sein. Warum sollte die lebendige soziale Inter­aktion als Grundlage demokra­ti­scher Prozesse nicht auch in virtu­ellen Versamm­lungen voll zum Tragen kommen? Es ist vermutlich bloß eine Frage der Gewöhnung. Vermutlich werden manche Möglich­keiten, die virtuelle Demokratie bietet, auch nach der Pandemie beibe­halten (Olaf Dilling).

2020-10-28T12:43:33+01:0028. Oktober 2020|Digitales|

Achtung, Schadens­ersatz: Umgang mit Bildern von Ex-Mitarbeitern

Beschlüsse über die Bewil­ligung von Prozess­kos­ten­hilfe sind selten aufregend. Wenn die dahin­ter­ste­hende Rechts­frage aber so inter­essant ist wie die Voraus­set­zungen von Schadens­er­satz­an­sprüchen bei DSGVO–Verstößen, schafft es auch ein Beschluss des Arbeits­ge­richts Lübeck (Beschluss vom 20.06.2019, Az.: 1 Ca 538/19) zu recht in die Öffentlichkeit.

Was war passiert? Ein Unter­nehmen stellte ein Foto mit Namen und Stellen­be­zeichnung eines Mitar­beiters auf seine Homepage und auch seine Facebook–Fanpage. Dann kündigte der Arbeit­nehmer. Anlässlich der Kündigung widerrief er die dem Arbeit­geber erteilte Einwil­ligung in die Verwendung des Fotos. Der Arbeit­geber entfernte darauf hin zwar das Bild von der Homepage, aber nicht von der Facebook-Fanpage.

Im Guten scheint man nicht vonein­ander geschieden zu sein, denn nun fuhr der Arbeit­nehmer schwerere Geschütze auf und ließ seinen Anwalt das Ex–Unternehmen auffordern, das Bild auch bei Facebook zu löschen. Weiter machte der Anwalt Schadens­ersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO geltend. Der Auffor­derung zur Löschung kam das Unter­nehmen nach, Schadens­ersatz wollte es aber nicht zahlen. Der Arbeit­nehmer bestand aber auf der Forderung.

Beim Arbeits­ge­richt beantragte er die Gewährung von Prozess­kos­ten­hilfe. Im Zuge dessen hatte das Gericht zu prüfen, ob der geltend gemachte Anspruch wohl besteht. Dies ist insofern inter­essant, als dass die DSGVO bekanntlich erst seit 2018 scharf­ge­schaltet ist, so dass es bisher zu vielen Fragen noch keine Recht­spre­chung gibt. In den Vor–DSGVO– Zeiten gab es Geld nur bei schwer­wie­genden Persön­lich­keits­rechts­ver­let­zungen. Die aktuelle Regelung enthält ein solches Kriterium aber nicht. Entspre­chend sah das Gericht auch ohne eine solche schwer­wie­gende Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung einen Schadens­er­satz­an­spruch für wahrscheinlich gegeben an. Inter­essant auch: Der Arbeit­geber könne sich weder darauf berufen, dass die Veröf­fent­li­chung zur Begründung, Durch­führung oder Beendigung eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses erfor­derlich sein. Noch kann er sich auf berech­tigte Inter­essen zurück­ziehen. Das Gericht sah deswegen einen Schadens­ersatz von bis zu 1.000 € für gegeben an.

Was bedeutet dieser Entscheidung nun für die Praxis? Sicherlich ist im Hinblick auf solche Konstel­la­tionen das aller­letzte Wort noch nicht gesprochen. So ist es wahrscheinlich, dass auch höhere Gerichte als ein erstin­stanz­liches Arbeits­ge­richt sich mit der Frage des Schadens­er­satzes künftig noch beschäf­tigen werden. Doch in jedem Fall sollten Unter­nehmen mit mehr Sorgfalt die Verwendung von Fotos ihrer Mitar­beiter begleiten. Zum einen sind Einwil­li­gungen weit wichtiger, als viele Unter­nehmen im hemds­är­me­ligen Alltag glauben. Zum anderen: Einwil­li­gungen können wider­rufen werden. Deswegen sollte die Klärung des weiteren Schicksals von Bildern zur Routine gehören, wenn Mitar­beiter ausscheiden (Miriam Vollmer).

2020-01-14T21:38:09+01:0014. Januar 2020|Digitales, Vertrieb|

Verkehrs­kon­zepte der Zukunft

Seit neustem gibt es einen Verein für Infra­struk­tur­recht, dessen Gründungs­tagung heute im Bremer Focke-Museum stattfand. Der Verein nahm dies zum Anlass, sich mit „Verkehrs­kon­zepten der Zukunft“ auseinanderzusetzen.

Ein thema­ti­scher Schwer­punkt lag beim Verkehrs­ent­wick­lungsplan Bremen 2025. Auf dem Podium berich­teten der ehemalige Umselt­se­nator Dr. Joachim Lohse, ein Staatsrat aus seinem Ressort, der Syndikus der Handels­kammer und ein Vertreter des Umwelt­ver­bands BUND über Erfolge und Defizite. In der Bilanz sind nach fünf Jahren zu wenige der darin geplanten Projekte reali­siert worden. Dies lag aus Sicht des Staatsrats an mangelnden perso­nellen und finan­zi­ellen Ressourcen und an recht­lichen Hinder­nissen. Beispiels­weise wurde der Planfest­stel­lungs­be­schluss über die Verlän­gerung einer Straßenbahn ins Bremer Umland erst Anfang diesen Monats vom Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt bestätigt. Fazit: Die fortschritt­lichsten Konzepte helfen nichts, wenn keine ausrei­chenden Mittel für ihre Umsetzung bereit gestellt werden.

In einer weiteren Session stellte Prof. Heipp aus der Schweiz vor, was für Erfah­rungen in anderen Ländern gemacht werden, mit Beispielen unter anderem aus Amsterdam, London, Lyon, Wien, Helsinki und Stockholm. In Stockholm wurde erst gegen erheb­liche Wider­stände eine relativ moderate City-Maut einge­führt, die inzwi­schen viel Akzeptanz findet, weil sie tatsächlich zu einer Entlastung des innen­städ­ti­schen Verkehrs geführt hat. Insgesamt kam von Heipp die Empfehlung es „nicht jedem recht machen zu wollen“ sondern mit klaren Richtungs­ent­schei­dungen Visionen zu verwirk­lichen, die vermit­telbar sind.

Prof. Fehling von der Bucerius Law School in Hamburg vertrat in seinem Vortrag die These, dass ökono­mische Instru­mente im Verkehr wegen der Auswir­kungen auf sozial Schwache vor dem Hinter­grund des Gleich­heits­satzes und dem Recht auf soziale Teilhabe proble­ma­tisch seien. Zumindest sei in demselben Maße, in dem Autofahren einge­schränkt wird, der ÖPNV auszu­bauen, um angemessene Alter­na­tiven zu schaffen. Außerdem hätten weiterhin ordnungs­po­li­tische Instru­mente eine Berechtigung.

Für den Nachmittag standen neben der City-Maut die Moder­ni­sierung des Straßen- und Straßen­ver­kehrs­rechts auf dem Programm und Themen der Verkehrs­planung. Die abschlie­ßende Podiums­dis­kussion befasste sich mit dem Potential der Digita­li­sierung für das Verkehrs­recht (Olaf Dilling).

2019-11-28T17:30:11+01:0028. November 2019|Digitales, Umwelt, Verkehr|