Das kennen wir leider: Wir haben auch laufende Gerichtsverfahren, die sind älter als unsere Kanzlei. Wir haben Verfahren, die sind praktisch ausgeschrieben, aber mündliche Verhandlungen nicht absehbar, obwohl wir regelmäßig sanft bis energisch erinnern. Und ab und zu denken wir dann tatsächlich, dass das doch so nun gar nicht mehr geht. Schließlich steht doch im Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, dass auch zivilrechtliche Streitigkeiten in angemessener Frist verhandelt werden sollen. Ob das noch der Fall ist, wenn zwischen der Klageerhebung und dem Eintritt der Rechtskraft bisweilen fast ein Jahrzehnt liegt? Müsste nicht in solche Fällen der § 198 Abs. 1 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) greifen? Dieser lautet:
„Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt.“
Wenn ein Verfahren sieben Jahre und acht Monate gedauert hat, sollte eine solche Entschädigung fließen, sollte man meinen. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 15. Dezember 2022 (III ZR 192/21) in einem solchen Fall geurteilt, dass das Oberlandesgericht als Vorinstanz die Verzögerung mit acht Monaten zutreffend beziffert hatte, und für jeden Monat nicht mehr als 150 EUR, also insgesamt 1.200 EUR, zuzusprechen seien. Dabei sei die Verfahrensführung durch den Richter nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen, so dass es erst dann Geld gibt, wenn bei „voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich“ sei. Es reicht also nicht, dass das Gericht Jahre braucht, die es nicht hätte brauchen müssen. Erst bei einer völlig unverständlichen Verfahrensführung wird die Prozesspartei entschädigt. Ob es sich um ein Muster- oder Pilotverfahren handelt, auf das alle Welt wartet, findet übrigens keinerlei Niederschlag.
Auch bei der Entschädigung ist der BGH zurückhaltend. § 198 Abs. 2 S. 3 GVG benennt 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung, wobei nach S. 4 der Betrag einzelfallbezogen höher oder niedriger festgesetzt werden kann. Insofern sind 150 EUR pro Monat mehr als der gesetzliche Standard, aber angesichts des Umstandes, dass das OLG noch über 800 EUR sehen wollte, doch insgesamt sehr moderat.
In der Gesamtschau stellt sich die Frage, ob diese Linie wirklich dazu führt, das Gebot eines halbwegs zügigen Rechtsschutzes zu realisieren. Gegenüber den Kosten, die eine ordentliche Ausstattung der Gerichte mit Personal verursachen, sowohl juristisch als auch in den Geschäftsstellen, dazu auch eine robuste und gut gewartete IT, fallen die ohnehin wenigen Entschädigungen nicht ins Gewicht. Die Schäden, die entstehen, wenn Bürger nicht mehr darauf vertrauen, dass die Justiz ihnen nicht irgendwann, sondern in angemessener Zeit recht gibt, zahlen am Ende aber eben nicht die Jusitzhaushalte, sondern: Wir alle (Miriam Vollmer).
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