Eigentlich schien die Sache bei der Bildung der Ampelkoalition klar zu sein: Im Koalitionsvertrag hatten sich die neuen Regierungsparteien auf eine grundlegende Reform des Straßenverkehrsrechts geeinigt. Es heißt dort ausdrücklich:
„Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.“
Dies galt als gemeinsamer Nenner der Koalitionspartner, da SPD und Grüne die zu eng auf verkehrsbezogene Belange festgelegten Gründe für Maßnahmen mit Bezug zu anderen ökologischen und sozialen Belangen öffnen konnten. Die FDP schien dagegen einer größeren Entscheidungsfreiheit auf der lokalen Ebene etwas abzugewinnen. Nun, geschehen ist in der Zwischenzeit, fast anderthalb Jahre danach: exakt nichts.
Das ist vor allem für die Städte enttäuschend. So hatte sich schon unter dem Bundesverkehrsminister Scheuer eine parteiübergreifende Initiative von inzwischen 664 deutschen Städten und Gemeinden gebildet, die mehr Spielräume bei der Ausweisung von Tempo-30-Zonen fordern. Ähnliches vertritt auch der Städtetag. Dessen Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy fordert seit langem, dass es möglich sein sollte, in Städten, die dies wollen, ein generelles Tempolimit von 30 Kilometer pro Stunde anzuordnen. Auf ausgewählten Hauptverkehrsstraßen könnte dann weiter Tempo 50 oder eine andere Geschwindigkeit zugelassen werden.
Bisher ist es nicht möglich, Tempo 30 beispielsweise auf Schulwegen anzuordnen, ohne mit aufwendigen Begründungen nachzuweisen, dass dort eine besonders große Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs besteht. Auch Anordnungen aus Gründen des Klimaschutzes oder der Gesundheit sind derzeit für Kommunen entweder gar nicht möglich oder erfordern oft jahrelange Planung und umfassende Gutachten. Das Resultat ist weiterhin ein Flickenteppich von punktuell zulässigen Geschwindigkeitsbeschränkungen und einer Regelgeschwindigkeit von 50 km/h.
Verkehrsminister Wissing hat von ein paar Tagen noch einmal bekräftigt, dass er die Möglichkeit für Städte, „flächendeckend“ Tempo 30 einzuführen, ablehnt. Gemeint hat er damit wohl den genannten Wunsch des Städtetags, Tempo 30 optional als Regelgeschwindigkeit einzuführen. Was die versprochenen Spielräume angeht, sprach Wissing davon, dass darüber Gespräche geführt würden. Da die Legislaturperiode bereits weit fortgeschritten ist, ist das kein wirklich überzeugendes Ergebnis. Angesichts der Dauer, die eine grundlegende Reform der StVO in Anspruch nimmt, müssen Kommunen, die auf ihren Straßen etwas ändern wollen, vermutlich noch bis zur nächsten Legislatur warten oder sich weiter mit Stückwerk auf der Basis der aktuellen StVO begnügen. (Olaf Dilling)
Oder die Kommunen machen einfach. Das schlimmste was passieren kann, ist das die Fachaufsicht nach massivem Druck einschreitet oder nach ein paar Jahren Verwaltungsgerichtsverfahren die Kommune die Anordnung zurück nimmt und mit neuer Begründung die nächsten Jahre Verwaltungsgerichtsverfahren abwarten kann. Es gibt so viele Anordnungen, die offensichtlich formal unzulässig sind.
Das Argument mit dem Schulweg ist nicht zielführend. Außer in einem Gewerbegebiet ohne Hausmeister- und Eigentümerwohnungen in das man nur von einer Seite rein kann, wohne außerhalb der BAB potenziell überall Kinder und damit ist überall Schulweg.
Tatsächlich ist eine Abgrenzung zwischen Schulweg und Nicht-Schulweg schwierig, aber gibt durchaus Straßen auf denen über 50 % der Schüler einer Schule unterwegs sind. Die Frage ist dann am Ende nur, bei welcher absoluten oder relativen Größe man die Grenze ansetzt.
Bei der Mehrzahl der Schüler:innen wird dann eine Teilstrecke besonders geschützt sein, ein Teilstück nicht. Das kann man keinen Eltern erklären, warum ein besonderer Schutz nur auf dem letzten (Hinweg) bzw. ersten (Rückweg) Teil notwendig und zulässig sein soll.