Wenn es darum geht, etwas über das Leben Prominenter herauszufinden, dann zählt Wikipedia weltweit inzwischen zu den zugänglichsten und verlässlichsten Quellen. Gerade letzteres ist nicht selbstverständlich, ja wäre vor 20 Jahren, also zur Gründerzeit der freien Online-Enzyklopädie allenfalls mit einem ungläubigen Lächeln quittiert worden.
Mit dieser großen Reichweite geht eine große Verantwortung einher. Denn damit bestimmt Wikipedia das Bild vieler Menschen – und Unternehmen – in der Öffentlichkeit. Da liegt die Frage auf der Hand, wie eine eher anarchische Organisation wie die Wikipedia dieser Verantwortung überhaupt gerecht werden kann. Denn bekanntlich wird die Wikipedia weder von einem festen Autorenteam geschrieben, noch durch eine Redaktion inhaltlich kontrolliert und überarbeitet. Vielmehr können alle Inhalte, die sich in der Wikipedia finden, potentiell von allen Lesern geändert werden. Es gibt bei der Wikipedia daher allenfalls lose Organisationsstrukturen. Eine verantwortliche Redaktion die für die Richtigkeit der Inhalte einsteht, fehlt. Zugleich sind viele der Autoren anonym und lassen sich nicht oder nur schwer ausfindig machen.
Das OLG Stuttgart hat jedoch vor einigen Jahren eine Störerhaftung der Wikipedia für Persönlichkeitsverletzungen in ihren Artikeln angenommen. Dabei wandte das Gericht die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Grundsätze der Haftung von Host-Providern für fremde Inhalte an. Diese Haftung setzt unter anderem voraus, dass der Provider, bzw die Wikipedia, vorher über die geltend gemachten Rechtsverletzungen in Kenntnis gesetzt wurde.
Tatsächlich gibt es auch bei Wikipedia ein sogenanntes Support-Team, das auf Beschwerden von Menschen reagiert, die von Persönlichkeitsverletzungen oder anderen Rechtsverletzungen in der Wikipedia betroffen sind. Diese Benutzer haben oft gar keine erweiterten Rechte zur Durchsetzung der Rechtsvorschriften, aber sie sind meist gut vernetzt und kennen die internen Regeln. Daher können sie viele Persönlichkeitsverletzungen schon im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens bereinigen.
Tatsächlich gibt es mittlerweile ein paar bewährte selbstregulative Strukturen in der Wikipedia. Zum Beispiel das Sichten: Es wurde eingeführt, um den Problem zu begegnen, dass lange Zeit sogenannter Vandalismus, z.B. von Schülern in offenbar wenig unterhaltsamen Schulstunden eingegebene Beleidigungen oder Schimpfwörter, sofort für alle Benutzer sichtbar wurde. Deshalb änderte sich erst 2008, also nach sieben Jahren Wikipedia. Seitdem müssen alle Änderungen von unangemeldeten oder neu angemeldeten Benutzern von erfahreneren Benutzern „gesichtet“ bzw freigeschaltet werden. Diesen Sichterstatus bekommt aber im Grunde jeder, der zum Projekt eine bestimmte Anzahl nicht gelöschter Änderungen beigetragen hat.
Auch verleiht die sogenannte Community, also die Gesamtheit aller Benutzer mit einer bestimmten Anzahl an Änderungen über eine bestimmten Zeitraum bei Wahlen anderen Benutzern erweiterte Rechte, um Regeln intern durchzusetzen oder Konflikte innerhalb der Wikipedia zu lösen. Diese dürfen ihre Rechte jedoch nicht zur Entscheidung von inhaltlichen Streitigkeiten einsetzen. Es gibt Administratoren, die Benutzer oder Artikel sperren können, Oversighter, die Inhalte permanent löschen können und sogar ein Schiedsgericht, vornehmlich für Streitigkeiten zwischen Mitarbeitern der Wikipedia.
Denn egal ob im Verein oder in politischen Parteien: Überall wo Leute eng kooperieren, ohne dass individuelle Zuständigkeiten allzu klar geregelt sind, gibt es gerne mal eskalierende Streitigkeiten. Auch in der Wikipedia. Wenn man in der Wikipedia zu seinem Recht kommen will, ist es oft hilfreich, solche internen Dynamiken zu kennen (Olaf Dilling).
Hinterlasse einen Kommentar