Manchmal versteht auch der Jurist den Gesetz­geber nicht. Nehmen wir nur einmal § 42 Abs. 1 Energie­wirt­schafts­gesetz (EnWG), wo es heißt:

Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen sind verpflichtet, in oder als Anlage zu ihren Rechnungen an Letzt­ver­braucher und in an diese gerich­tetem Werbe­ma­terial sowie auf ihrer Website für den Verkauf von Elektri­zität anzugeben:

1.
den Anteil der einzelnen Energie­träger (Kernkraft, Kohle, Erdgas und sonstige fossile Energie­träger, erneu­erbare Energien, finan­ziert aus der EEG-Umlage, Mieter­strom, finan­ziert aus der EEG-Umlage, sonstige erneu­erbare Energien) an dem Gesamt­ener­gie­trä­germix, den der Lieferant im letzten oder vorletzten Jahr verwendet hat; spätestens ab 1. November eines Jahres sind jeweils die Werte des voran­ge­gan­genen Kalen­der­jahres anzugeben;
2.
Infor­ma­tionen über die Umwelt­aus­wir­kungen zumindest in Bezug auf Kohlen­di­oxid­emis­sionen (CO2-Emissionen) und radio­ak­tiven Abfall, die auf den in Nummer 1 genannten Gesamt­ener­gie­trä­germix zur Strom­erzeugung zurück­zu­führen sind.“

Dass Strom­rech­nungen eine solche Strom­kenn­zeichnung ausweisen müssen, ist nicht nur deswegen alter­na­tivlos, weil es europa­rechtlich vorge­geben ist. Es ist auch absolut sinnvoll, dass der Verbraucher weiß, auf welchen Energie­trägern seine Versorgung beruht. Ebenso hilft es dem Verbraucher bei der Auswahl eines neuen Strom­ver­sorgers zu erfahren, was für Energie­träger dem Produkt zugrunde liegen.

So weit, so gut. Doch der Begriff des an Kunden gerich­teten Werbe­ma­te­rials ist denkbar weit. Neben mir liegt beispiels­weise ein Kugel­schreiber mit dem Logo eines sächsi­schen Energie­ver­sorgers. Ein Gesamt­ener­gie­trä­germix, bekannt aus Strom­rech­nungen meist als Käsekäst­chen­grafik, ist auf dem guten Stück natürlich nicht drauf.

Muss deswegen das großzügige Unter­nehmen Angst vor einer kosten­träch­tigen Abmahnung haben? Dem Wortlaut nach könnte das durchaus sein. Aber sicherlich ist die Regelung so nicht gedacht. Das hat auch das Oberlan­des­ge­richt (OLG) Frankfurt dazu bewogen, in einer grund­le­genden Entscheidung die Strom­kenn­zeich­nungs­pflicht auf solche Werbe­ma­te­rialien zu beschränken, die an den Endver­braucher übersandt werden. Dies begründet das Gericht mit dem Wortlaut der zugrunde liegenden Elektri­zi­täts­bin­nen­markt­richt­linie, denn dort heißt es zum Werbe­ma­terial, es würde „…envoyés aux clients finals“.

Der Werbe­trei­bende könnte sich also ruhig zurück­lehnen. Indes: Die Entscheidung datiert schon aus 2009. Und seitdem scheint es zumindest in den veröf­fent­lichten Entschei­dungen nichts wirklich Neues mehr gegeben zu haben. Der aktuelle Leitfaden des bdew führt deswegen auch ganz klar aus, dass Zeitungen, Magazine, Werbe­tafeln und Fernseh­werbung nicht gemeint seien. 

Doch ganz sicher sein kann der Werbe­trei­bende nicht. Der Wortlaut ist ein gewich­tiges Argument, und von der Verord­nungs­er­mäch­tigung in § 42 Abs. 8 EnWG, mit der der Verord­nungs­geber hätte konkre­ti­sieren können, wurde kein Gebrauch gemacht. Käme es zum Schlagen und der Werbe­trei­bende stünde vor Gericht, so wäre es naheliegend, dass beim Kugel­schreiber kein vernünf­tiger Richter ein Unter­las­sungs­urteil erließe. Aber beim fehlenden Hinweis auf einem Plakat mag das durchaus anders aussehen. Dort hilft es auch nicht, sich auf Leitfäden oder acht Jahre alte Urteile zu berufen. Das sind keine verbind­lichen Rechts­quellen. Entspre­chend sollte eine pragma­tische Heran­ge­hens­weise immer dort, wo es räumlich und optisch möglich ist, eine Strom­kenn­zeichnung anbringen. Und ansonsten im Zweifelsfall stets zumindest einen Verweis auf die Homepage, die gem. § 42 Abs. 1 S. 1 EnWG ja immer das volle Programm der Strom­kenn­zeichnung ausweisen muss.

Oder der Gesetz­geber stellt doch noch klar, was in seinen Augen eigentlich Werbe­ma­terial im Sinne des § 4 Abs. 1 EnWG ist.