Vorher­sehbar und folgenlos? Unfälle mangels sicherer Verkehrsregelung

Es kommt immer wieder vor, dass Bürger vor offen­sicht­lichen Gefah­ren­stellen im Verkehr warnen, aber die zuständige Behörde untätig bleibt: „Es sei ja noch nichts vorge­fallen“, so dass die Grundlage zum Eingreifen fehle, heißt es dann manchmal, was für Betroffene zynisch klingen muss. Wenn es dann zum Unfall kommt, stellt sich die Frage nach der Verant­wortung der Behörde und deren Mitar­beiter, sei es Amtshaftung, sei es straf­recht­liche Verant­wort­lichkeit. Manchmal gab es auch Weisungen aus der Politik, die für die Untätigkeit ursächlich waren. 

Ein Beispiel ist ein Unfall in Berlin. Eltern, Anwohner und eine Schule hatten bereits Anfang des Jahres vor einer gefähr­lichen Ampel­schaltung auf einem Schulweg gewarnt gehabt. Durch die Staus nach Eröffnung der A100 hatte sich die Situation an der Kreuzung noch einmal verschärft. Wenig später ist ein Kind, das bei grünem Signal die Ampel überquert hatte, von einem Kraft­fahrer überfahren und schwer verletzt worden. Nach Auskunft des Tages­spiegel hatten beide, sowohl das Kind als auch der Kraft­fahrer offenbar zugleich ein grünes Licht­signal gesehen.

Nun, um dieses Beispiel seriös zu bewerten, müsste man die Aktenlage kennen. Eine „Ferndia­gnose“ würde den Betei­ligten, den Mitar­beitern der Straßen­ver­kehrs­be­hörde inklusive, nicht gerecht. Aber allgemein sind die folgenden Fragen durchaus berechtigt:

Müssen Behörden in Fällen haften, in denen sie ihre Aufgabe, den Verkehr zu regeln und Gefahren abzuwehren, nicht richtig wahrnehmen? Wie ist es, wenn sich recht­liche Regeln ändern? Etwa soll neuer­dings gemäß § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO auf hochfre­quen­tierten Schul­wegen oder vor Spiel­plätzen Tempo 30 angeordnet werden. Das das Ermessen hier stark einge­schränkt ist und die Behörde aufgrund hoher geschützter Verfas­sungs­werte, Leben und körper­liche Unver­sehrtheit, eine Handlungs­pflicht hat, ergibt sich aus der Verwal­tungs­vor­schrift zur StVO (siehe der Verweis auf „Vision Zero“, zu § 1 Rn 1 sowie zu Zeichen 274, Rn. 13a). Sind Behörden also verant­wortlich, wenn sie sich nicht kümmern und sich aufgrund der noch erlaubten zu hohen Geschwin­digkeit schwere Unfälle ereignen? Was ist, wenn der Bürger­meister oder der Landrat an so einer Stelle die Behörde anweist, die „Regel­ge­schwin­digkeit“ von 50 km/h auf Vorfahrts­straßen beizubehalten?

Unübersichtliche mehrspurige Straße mit viel Kfz und schlechten Lichtverhältnissen

Symbolbild: mehrspurige unüber­sicht­liche Straße mit kreuzendem Fußverkehr und schlechten Lichtverhältnissen

Zunächst einmal ist es grund­sätzlich so, dass vom Bundes­ge­richtshof im Haftungs­recht eine Amtspflicht der Behörde anerkannt ist, darüber zu bestimmen, wo welche Verkehrs­zeichen und ‑einrich­tungen im Interesse und zum Schutz aller Verkehrs­teil­nehmer anzubringen sind (BGH, 25.04.1985 – III ZR 53/84, Rn. 7). Aus der Verletzung dieser sogenannten Verkehrs­re­ge­lungs­pflicht kann eine Amtshaftung nach § 839 BGB folgen. Bei Fahrläs­sigkeit gilt bei Verletzung von Verkehrs­re­ge­lungs­pflichten jedoch das sogenannte Verwei­sungs­pri­vileg: Der Geschä­digte muss sich nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zunächst an andere poten­tielle Schädiger halten. Erst wenn er dort nicht Ersatz erlangen kann, kommt die Amtshaftung in Frage.

Auch wenn den für die Amtspflicht­ver­letzung persönlich verant­wort­lichen Beamten Vorsatz oder grobe Fahrläs­sigkeit nachge­wiesen werden kann, kommt die Amtshaftung in Frage. Sie können dann auch nach Art. 34 Satz 2 GG in Regress genommen werden. Dies gilt auch für Wahlbeamte auf Zeit wie Oberbür­ger­meister oder Landräte. Ehren­amt­liche Mitglieder kommu­naler Gremien, die in der Regel nicht verbe­amtet sind oder nicht in ihrer Eigen­schaft als Beamte handeln, sind dagegen nicht regress­pflichtig. Es gibt dafür in den Gemein­de­ord­nungen und Kommu­nal­ver­fas­sungs­ge­setzen der Länder keine Grundlage. Insgesamt ist die Recht­spre­chung typischer­weise zurück­haltend bei der Annahme einer Amtshaftung aufgrund einer verletzten Verkehrs­re­ge­lungs­pflicht. Ausge­schlossen ist sie jedoch nicht.

Wir beraten übrigens gerne Straßen­ver­kehrs­be­hörden und Kommunen, wie sie nach dem refor­mierten Verkehrs­recht ihren Pflichten nachkommen können und sollten. Amtshaf­tungs­pro­zessen sollte idealer­weise dadurch vorge­beugt werden, dass Unfälle von vornherein vermieden werden. Das schont die Staats­kasse und das persön­liche Vermögen von Beamten ebenso wie das Leben und Wohlergehen der Verkehrs­teil­nehmer. (Olaf Dilling)

 

2025-10-14T17:29:58+02:0014. Oktober 2025|Verkehr|

EU-weite Gefahren durch nach Deutschland impor­tierte Pick Ups

Um auf den Straßen Klima­schutz und Verkehrs­si­cherheit durch­zu­setzen, sollten die Europäische Union und Deutschland idealer­weise an einem Strang ziehen: Denn nicht nur das deutsche Straßen- und Straßen­ver­kehrs­recht, sondern auch das das europäi­sierte Recht der Straßen­ver­kehrs­zu­lassung hat Auswir­kungen auf CO2-Ausstoß und Verlet­zungs­risiko der Fahrzeuge.

Nun ist in Deutschland nicht nur die Straßen­ver­kehrs­rechts­reform blockiert, sondern die Verkehrs­ver­waltung hinter­treibt drüber hinaus auch die europäi­schen Ansätze, Klima­schutz und „Vision Zero“ durch­zu­setzen. Denn für den Import von Fahrzeugen gibt es neben der Typge­neh­migung auch die Einzel­ge­neh­migung (Individual Vehicle Approval – IVA), die Ausnahmen von den Produkt­stan­dards zulässt. Dieses Schlupfloch wird von den deutschen Zulas­sungs­be­hörden so weit ausgelegt, dass inzwi­schen Tausende großer Pick Ups und SUVs jährlich nach Deutschland impor­tiert und in andere EU-Mitglied­staaten weiter­ver­kauft werden.

An sich gibt es in der EU nämlich vergleichs­weise strenge Produkt­stan­dards für Automobile. Dies zeigt jeden­falls der Blick über den großen Teich: In den USA und in Kanada werden die SUVs und Pick Ups immer martia­li­scher. Gerade das sogenannte „Front-End“ rund um Stoßstange und Kühler­haube erinnert auch bei Trucks, die privat im urbanen Umfeld genutzt werden, an Militär­fahr­zeuge, die sich den Weg durch feind­liches Terrain bahnen müssen.

Diese Fahrzeuge weisen mehrere Merkmale auf, die an ihrer Eignung für einen zivilen Straßen­verkehr zweifeln lassen. Was die Verkehrs­si­cherheit angeht, führt das Design des sogenannten „Front-End“, also Stoßstange, Kühler­grill und ‑haube, zu mehr schweren und tödlichen Unfällen mit vulner­ablen Gruppen, insbe­sondere Kindern, Fußgängern, Fahrrad­fahrern und Menschen, die im Rollstuhl fahren. Je höher und ausge­prägter die Kühler­haube, ist desto leichter werden Fußgänger an lebens­wich­tigen Organen oder gar am Kopf verletzt. Die Höhe der Kühler­haube und das robuste Design der Fenster­rahmen führt zu großen Bereichen, die nicht einge­sehen werden können, so dass kleine Kinder, Rollstuhl­fahrer oder Radfahrer und beim Abbiegen übersehen werden. Das hohe Gewicht bedingt zudem eine hohe kinetische Energie beim Aufprall.

Pick -Up Truck

Das Gefühl der Sicherheit, dass diese Fahrzeuge ihren Insassen vermitteln wird teuer erkauft durch den Verlust an Sicherheit für alle anderen Verkehrs­teil­nehmer. Dies spiegelt sich deutlich in der Verkehrs­un­fall­sta­tistik der USA wieder, die nach dem konti­nu­ier­lichen Sinken der Unfall­zahlen bis ca 2010 seitdem einen deutlichen Anstieg verzeichnet. Besonders drastisch ist der Anstieg bei den Fußgängern. Seit 2020 gibt es einen solchen Anstieg auch in anderen OECD-Ländern, auch in Deutschland und besonders markant im Bereich der Fußgänger. Auch wenn das Fahrzeug­design sicher nur einer von mehreren Faktoren ist, trägt es zum Gefühl der Unsicherheit bei, und führt in einer Art Teufels­kreis zum weiteren Wettrüsten auf den Straßen.

Auch was Klima­schutz angeht, entsprechen die Pick-Ups und großen SUVs aus den USA nicht den Europäi­schen Vorgaben. Trotzdem werden sie im Wege der Einzel­ge­neh­migung von deutschen Zulas­sungs­be­hörden genehmigt. Tatsächlich lässt die EU Verordnung gemäß Artikel 44 der Verordnung (EU) 2018/858 die indivi­duelle Geneh­migung zu. Dass  exzessiv von diesem Schlupfloch Gebrauch gemacht wird, zeigt die Tatsache, dass die Zahl der Neuzu­las­sungen dieser Fahrzeuge von knapp 3000 im Jahr 2019 auf 6800 im Jahr 2022 angestiegen sind. Typischer­weise wird nach Deutschland impor­tiert und dann innerhalb der EU weiterverkauft.

Zuständig ist das Kraft­fahr­bun­desamt und verant­wortlich letztlich das Bundes­ver­kehrs­mi­nis­terium. Das FDP-geführte Verkehrs­ressort hat nicht nur seine Hausauf­gaben im Klima­schutz nicht gemacht. Es verhindert mit seiner ideolo­gi­schen Fixierung auf Freihandel und „Konsum­de­mo­kratie“ auch, dass die Ansätze der EU zum Schutz von Klima und Verkehrs­si­cherheit durch­ge­halten werden. (Olaf Dilling)

2024-07-24T11:16:12+02:0026. April 2024|Kommentar, Umwelt, Verkehr|

Vision Zero: Tod auf der Landstraße

Wie wie der Presse entnehmen konnten, ist am Dienstag ein Aktivist der Radfah­rer­szene gestorben, dessen Beiträge wir unter dem Pseudonym „Natenom“ gerne bei Twitter gelesen haben. Natenom war mit den Fahrrad auf der Landstraße auf Strecken von 50 bis 80 km am Tag unterwegs. Er fuhr auch im Winter und abends.

Er wies immer wieder darauf hin, welche Gefahren daraus resul­tieren, wenn Fahrrad­fahrer zu eng und zu schnell überholt werden. Zum Teil auch von Autofahrern, die sich darüber aufregen, dass sie die Fahrbahn nicht für sich haben und die dem Fahrrad­fahrer durch riskantes Überholen ein Denkzettel verpassen wollen.

Dabei gibt es gute Gründe, warum Natenom die Fahrbahn nicht nutzte. Oft gab es keinen Fahrradweg, manchmal war er nicht benut­zungs­pflichtig, weil er nicht per Verkehrs­zeichen angeordnet war, oder in einem Zustand, dass er nicht benutzbar war.

Wenn Natenom die Polizei auf das Fehlver­halten der anderen Verkehrs­teil­nehmer aufmerksam machte, dann wurde das in der Regel nicht verfolgt. Im Gegenteil wurde ihm nahe gelegt, seine Anzeigen sein zu lassen.

Natenom ist genau wegen dieser Misstände gestorben, die er täglich angeprangert hat. Er wurde von einem Kraft­fahrer von hinten überfahren und ist an seinen schweren Verlet­zungen gestorben. Es ist inakzep­tabel, dass immer noch so viele Fahrrad­fahrer auf deutschen Straßen sterben. Wenn sein Tod dazu führt, dass sich an der Infra­struktur etwas bessert und an der mangelnden Bereit­schaft, Regeln auf der Straße durch­zu­setzend, wäre das durchaus im Sinne von Natenom. (Olaf Dilling)

2024-02-02T09:33:24+01:002. Februar 2024|Kommentar, Verkehr|