StVG-Reform: Mehr Möglich­keiten in engen Grenzen

Das Bundes­mi­nis­terium für Digitales und Verkehr hatte unter Wissing das Koali­ti­ons­ver­sprechen, den Kommunen in Straßen­ver­kehrs­gesetz (StVG) und StVO mehr Spiel­räume zu geben, zunächst auf die lange Bank geschoben. Dann sollte es diesen Sommer auf einmal ganz schnell gehen: Unter anderem bekamen die Verbände für Stellung­nahmen zum Referen­ten­entwurf des StVG, der Ermäch­ti­gungs­grundlage zum Erlass der Verordnung, eine Betei­li­gungs­frist von etwas mehr als 24 Stunden. Dies war z.B. vom Bundes­verband der kommu­nalen Spitzen­ver­bände, der u.a. den Städtetag vertritt, scharf kriti­siert worden.

Die politi­schen und gesell­schaft­lichen Belange, die im Vorfeld nicht ausrei­chend berück­sichtigt werden konnten, sind nicht in Verges­senheit geraten. Sie sind vielmehr bei der öffent­lichen Anhörung im Verkehrs­aus­schuss des Bundestags diese Woche wieder auf den Tisch gekommen.

Der ADAC sieht vor allem das Straßen­ver­kehrs­rechts als beson­deres Ordnungs­recht durch die neuen Ziele des Umwelt- und Gesund­heits­schutzes bedroht. Die meisten anderen Sachver­stän­digen lobten eher, dass das Straßen­ver­kehrs­recht nunmehr an die aktuellen Heraus­for­de­rungen angepasst würde. Es würde  anerkannt, dass der öffent­liche Straßenraum mehr Funktionen erfüllt, als die Leich­tigkeit des Kraft­fahr­zeug­ver­kehrs zu gewähr­leisten. Prof. Stefan Klinski von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht betonte, dass das Straßen­ver­kehrs­recht seit jeher nicht nur die Gefahren im Verkehr im Blick gehabt hat. Es sei immer auch um die Gefahren gegangen, die für Dritte vom Verkehr ausgehen. Erst in den letzten Jahrzehnten sei es zu einer starken Verengung auf die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs mit der Erfor­der­lichkeit einer quali­fi­zierten Gefah­renlage gekommen.

Der Vertreter der Kommunen kriti­sierte, dass die verspro­chenen Spiel­räume nicht ausrei­chend seien. Vielmehr sei im Geset­zes­entwurf wieder nur eine Ausnahme vorge­sehen, einzelne Verord­nungs­be­stim­mungen zu erlassen mit der Möglichkeit auch aus Gründen des Umwelt- und Gesund­heits­schutzes und der städte­bau­lichen Entwicklung Verkehrs­ein­schrän­kungen vorzu­nehmen. Der ADFC hob dagegen hervor, dass aus dem Entwurf des Straßen­ver­kehrs­ge­setzes nicht hervorgehe, dass die neuen Ziele und auch die alter­native Verkehrs­arten nun gleich­rangig mit der Leich­tigkeit des Kfz-Verkehrs zu bewerten seien.

Mit den Stimmen der Regie­rungs­frak­tionen hat der Verkehrs­aus­schuss zwei Tage später trotz der Einwände die Beschluss­emp­fehlung gegeben, dem Geset­zes­entwurf unver­ändert zuzustimmen. Aller­dings wurde dies mit einer Entschlie­ßungs­vorlage verbunden. Darin wird die Bundes­re­gierung aufge­fordert, das Straßen­ver­kehrs­recht im ersten Halbjahr 2024 noch einmal zu evalu­ieren. Ein paar der in der öffent­lichen Anhörung genannten Einwände und Aspekte könnten hier wieder einfließen, etwa Vision Zero und Barrie­re­freiheit. Daneben werden u.a. recht­si­chere Kriterien für Anwoh­ner­parken, Digita­li­sierung der Parkraum­über­wa­chung und die Weiter­ent­wicklung der Erpro­bungs- zu einer Innova­ti­ons­klausel gefordert. Es ist also zu erwarten, dass die Entwicklung im Verkehrs­recht auch im nächsten Jahr spannend bleibt. (Olaf Dilling)

2023-10-20T12:54:56+02:0020. Oktober 2023|Allgemein, Verkehr|

Die neue StVO: Überqueren der Straße „auf kurzem“ nicht „kürzestem Weg“?

Nachdem lange nur inoffi­zielle Entwürfe die Runde machten, gibt es nun einen Kabinetts­entwurf für die neue Straßen­ver­kehrs­ordnung (StVO). Wir wollen in diesem und weiteren Blogbei­trägen die Änderungen der neuen StVO vorstellen, die zum Teil auch grund­sätz­licher Natur sind.

Dass eine weitere Reform der StVO kommen würde, war bereits im Koali­ti­ons­vertrag versprochen worden. Unter anderem sollten die Kommunen mehr Spiel­räume bekommen und es sollen neben der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs weitere Ziele wie Umwelt- und Gesund­heits­schutz sowie die geordnete städte­bau­liche Entwicklung aufge­nommen werden.

Dies ist nun auch in einem bereits im Sommer veröf­fent­lichten Entwurf des Straßen­ver­kehrs­ge­setzes (StVG) berück­sichtigt. In § 6 StVG wird das „Bundes­mi­nis­terium für Verkehr und digitale Infra­struktur“ (inzwi­schen: Bundes­mi­nis­terium für Digitales und Verkehr) zum Erlass der StVO ermächtigt. Da in dieser Norm der Rahmen der Verord­nungs­gebung abgesteckt wird, müsste noch vor Änderung und endgül­tigem Beschluss der StVO auch die gesetz­liche Grundlage geändert werden. Die Abstimmung im Bundestag steht insofern noch aus.

Der aktuelle Kabinetts­entwurf steht insofern nicht nur unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch den Bundesrat, sondern auch unter dem Vorbehalt der Verab­schiedung der StVG-Reform durch den Gesetz­geber. Trotz dieser Vorbe­halte lohnt es sich, schon jetzt in die Details der StVO-Reform zu schauen, denn es finden sich einige für die Praxis relevante Änderungen, die wir in mehreren Beiträgen vorstellen wollen.

Was den Fußverkehr angeht, wurden nur einige der von der Verkehrs­mi­nis­ter­kon­ferenz gemachten Vorschlage einbe­zogen (siehe der Bericht der Ad hoc AG Fußverkehr, zu deren fachlicher Unter­stützung wir tätig waren). Eine fußgän­ger­spe­zi­fische Frage ist die Querung von Fahrbahnen für Kfz, die in § 25 Abs. 3 StVO geregelt ist. Bisher heißt es

Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeug­ver­kehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrt­richtung zu überschreiten.“

Person in wheelchair

Hier soll es eine kleine Änderung geben: „statt auf dem kürzestem Weg quer zur Fahrrichtung“ soll es demnächst heißen: „auf kurzem Weg“. Was durch diese Änderung des Verord­nungs­gebers gemeint ist, wird richtig deutlich erst unter Berück­sich­tigung der Begründung des Verordnungsentwurfs.

Bisher ist es so, dass für Menschen mit Behin­de­rungen Querungen auf dem kürzesten Weg oft nicht möglich sind, wenn keine entspre­chenden Bordstein­ab­sen­kungen auf beiden Straßen­seiten vorhanden sind. Hier soll es in Zukunft rechtlich zulässig sein, auch den kurzen Weg zwischen den nächst­mög­lichen Bordstein­ab­sen­kungen zu wählen, also beispiels­weise da, wo Grund­stücks­zu­fahrten sind. Weiterhin soll eine Überquerung der Fahrbahn mit der dem Verkehrs­teil­nehmer möglichen Geschwin­digkeit zulässig sein. Im Vorschlag der Verkehrs­mi­nis­ter­kon­ferenz war dies auch aus dem Wortlaut heraus noch besser zu verstehen, da dort die Formu­lierung „quer zur Fahrt­richtung“ gestrichen worden war.

Diese Änderung der StVO ist längst überfällig, um Mobili­täts­rechte für Menschen mit Bewegungs­ein­schrän­kungen zu gewähr­leisten. Zugunsten der Bestimmtheit und Verständ­lichkeit der Regelung wäre es jedoch eine klarere Formu­lierung sinnvoll. Es ist zu hoffen, dass die Verkehrs­mi­nister der Länder über den Bundesrat hier noch klärend Einfluss nehmen.

Am Freitag, den 27.10.2023 stellen wir die Reform des Straßen­ver­kehrs­rechts und die sich daraus ergebenden Möglich­keiten für Kommunen von 10:30 – 12 h in einem Webinar vor. Eine Anmeldung ist demnächst hier online möglich.

2023-10-12T13:23:14+02:0012. Oktober 2023|Verkehr|

Jetzt doch? Straßenverkehrsrechtsreform

Nun also doch noch… Wir hatten bereits vor einiger Zeit darauf hinge­wiesen, dass die im Koali­ti­ons­vertrag verspro­chene Reform von Straßen­ver­kehrs­gesetz (StVG) und Straßen­ver­kehrs­ordnung (StVO) bisher nicht in Angriff genommen wurde. Dadurch war eine Umsetzung in dieser Legis­la­tur­pe­riode unwahr­scheinlich geworden.

Nun kursiert immerhin einen Referen­ten­entwurf des refor­mierten StVG, der von Presse und Verbänden bereits kommen­tiert wurde. Kern ist die im Koali­ti­ons­vertrag auch angekün­digte Öffnung der Gründe straßen­ver­kehrs­recht­licher Maßnahmen für Ziele des Klima- und Umwelt­schutzes, der Gesundheit und der städte­bau­lichen Entwicklung. Diese Ziele sollen gleich­wertig neben die bisher exklu­siven Schutz­güter der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs treten.

Damit ist ein erster Schritt Richtung einer Reform getan, die den Ländern und Kommunen mehr Spiel­räume bei der Umsetzung der StVO eröffnet. Aller­dings muss diese Neure­gelung nicht nur den Bundestag passieren, sondern ihr muss auch vom Bundesrat zugestimmt werden. Schließlich handelt es sich bisher nur um die Ermäch­ti­gungsnorm für eine entspre­chende Änderung der StVO. Auch diese müsste dann zur Umsetzung noch angepasst werden.

Insgesamt ist es zumindest mal ein Anfang und auch die Tatsache, dass die Gleich­wer­tigkeit der Gründe explizit verankert werden soll, stimmt hoffnungsvoll. Aller­dings zeigen bisherige Reformen des Straßen­ver­kehrs­rechts, dass der Weg bis zu einer tatsäch­lichen Änderung oft lang und steinig ist. (Olaf Dilling)

2023-06-20T15:50:24+02:0020. Juni 2023|Verkehr|