Fernwärme: Der Fluch der Ölpreisbindung
In den letzten Tagen erlebt der Ölpreis bedingt durch die Coronakrise eine Talfahrt sondergleichen. Am heutigen Montag notiert der Ölpreis pro Barrel Brent auf 32,27 $, 46,3% der Einjahresnotierung. Dies wird sich zeitversetzt natürlich auch auf die direkt oder indirekt ölpreisindexierten Energiepreise auswirken.
Unschädlich ist dies dort, wo die eigene Kostenstruktur mit den den Letztverbrauchern in Rechnung gestellten Preisen mitschwingt. Zum Problem kann der rapide Sturz des Ölpreises aber bei der Fernwärme werden:
Für Preisgleitklauseln in der Fernwärme gilt § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV. Dessen S. 1 lautet:
„Preisänderungsklauseln dürfen nur so ausgestaltet sein, daß sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen.“
Neben den eigenen Kosten des Versorgers muss die Formel also auch den Wärmemarkt abbilden, und zwar nicht den für Fernwärme, sondern alle Möglichkeiten, wie man Räume heizt. Die jüngere Rechtsprechung legt es nahe, dass die eigenen Kosten und die Wärmemarktentwicklung ungefähr gleich gewichtet werden; marktüblich sind 60/40, man sieht auch 70/30. Das Marktelement ist also für die Entwicklung der Preise und damit für die Einnahmesituation der Unternehmen wichtig.
Traditionell haben viele Unternehmen den Marktindex an den Ölpreis gebunden. Eine erste Erschütterung hat diese Praxis bereits durch die Entscheidung Bundesgerichtshof (BGH) vom 19. Juli 2017 (VIII ZR 268/15) erfahren. Hier hat der BGH der zweiten Instanz vorm Landgericht (LG) Würzburg entgegengehalten, er habe die Praxis, den Markt durch nur einen Brennstoff abzubilden, keineswegs für unproblematisch erklärt. Dies sei zunehmend kritisch zu betrachten und im Einzelfall zu prüfen (und damit auch für das versorgende Unternehmen meist aufwändig darzulegen). Rechtlich ist es damit nicht mehr empfehlenswert, das Marktelement durch leichtes Heizöl abzubilden. Möglicherweise ist die Praxis rechtswidrig.
Die Ölpreisentwicklung der letzten Wochen macht deutlich, dass diese Praxis auch wirtschaftlich schwierig ist. Denn wenn die eigene Preisentwicklung nicht oder nur sehr teilweise ölpreisabhängig ist, aber das Marktelement den Preis zur Verbraucherseite hin nach unten regelt, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage der Unternehmen ohne Not. Hier lohnt es sich, über eine Überarbeitung der Preisklausel nachzudenken, wenn nicht sogar in diesem Zuge die Preise und das Preissystem insgesamt neu zu kalkulieren, um nicht nur die Preisentwicklung nach unten wie nach oben abzuflachen und Spitzen zu vermeiden. Sondern auch die eigene Ergebnisentwicklung vor so unvorhersehbaren Entwicklungen wie aktuell zumindest ein Stück zu sichern (Miriam Vollmer)