Generalanwalt sieht Polen bei Marktstabilitätsreserve im Unrecht
Der Emissionshandel bleibt auch in der nunmehr dritten Handelsperiode hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Die Zertifikate seien zu billig, so dass kein Minderungsanreiz bestünde. Dies wird auf erhebliche Überschüsse zurückgeführt. In einem Ende 2014 veröffentlichten Diskussionspapier sprach die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) von 2,4 Mrd. Berechtigungen, die sich bis Ende der derzeit laufenden Handelsperiode angesammelt hätten, hätte die EU nicht 2015 eingegriffen.
Dieser Eingriff ist im System an sich nicht vorgesehen. An sich setzen die Organe der EU jeweils vor Beginn einer Handelsperiode einen Rahmen in Gestalt einer Regelung der Gesamtmenge an Zertifikaten, regeln die kostenlose und kostenpflichtige Allokation dieser Zertifikate und ziehen sich dann zurück. Um das Flaggschiff des europäischen Klimaschutzes aber nicht leer laufen zu lassen, wurde in einer Art Notoperation die Marktstabilitätsreserve (MSR) beschlossen. Bei ihr handelt es sich um eine Art „Regierungskonto“, auf das jedes Jahr ab 2019 ein Teil der Zertifikate verschoben werden, die ansonsten auf den Markt gelangen und den Preis so weiter drücken würden. Es handelt sich also um Instrument der künstlichen Verknappung. Um tatsächlich zu stabilisieren und den Preis nicht nur einseitig in die Höhe zu treiben, ist ein Korridor vorgesehen: Übersteigt die Menge der Zertifikate am Markt 400 Mio. oder explodiert der Preis auf mehr als Dreifache des Vorjahreswertes, so sollten die gebunkerten Zertifikate freiwerden.
Nicht alle Mitgliedstaaten unterstützten diesen Vorschlag. Polen, dessen Stromerzeugung in besonderem Maße von der Steinkohle lebt, zog nach Inkrafttreten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). In der Rs. C 5/16 wehrt sich Polen gegen die MSR. Diese sei im falschen Verfahren beschlossen worden. Außerdem fehle eine vernünftige Folgenabschätzung. Zudem hätten sich Rat und Parlament mit dem Beginn 2019 gegen vorher bestehende Anreden gestellt, so dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verletzt worden wäre. Insbesondere würde der Eingriff mitten in der Handelsperiode die Vorhersehbarkeit des ganzen Systems beeinträchtigen und damit Unternehmen schaden, die bis 2020 mit ganz anderen, 2009 an sich für die gesamte Handelsperiode festgelegten Regeln gerechnet hatten. Außerdem hält Polen die MSR für unverhältnismäßig, weil die internationalen Verpflichtungen der EU auch ohne MSR erreicht würden.
Ende letzten Jahres hat nun der Generalanwalt beim EuGH Mengozzi sein Schlussplädoyer vorgelegt. Diese Institution existiert im deutschen Prozessrecht nicht. Am ehesten – wenn überhaupt – vergleichbar sind die Generalanwälte vielleicht mit dem Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht. Die Generalanwälte nehmen entsprechend Stellung in den Verfahren vorm EuGH und tragen Vorschläge für die Entscheidungsfindung vor, denen das Urteil meistens, wenn auch nicht immer, entspricht. Entsprechend aufmerksam werden die Schlussplädoyers verfolgt.
Generalanwalt Mengozzi schlägt nun vor, die polnische Klage insgesamt abzuweisen. Interessant ist die Begründung insbesondere in Hinblick auf das Verfahren. Hier räumt Mengozzi nämlich durchaus Mängel ein. Jedoch spricht er sich für die Klageabweisung u. a. mit dem an dieser Stelle durchaus überraschenden Argument aus,
„Außerdem wäre das EHS durch eine solche Auslegung zum Scheitern verurteilt, weil sie den Unionsgesetzgeber daran hindern würde, dessen strukturelle Mängel zu beseitigen.“
Angesichts dessen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Generalanwalt auch keinen Verstoß gegen den Loyalitätsgrundsatz sieht.
Bemerkenswert ist weiter die Begründung zum von Polen gerügten Verstoß gegen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz. Der Generalanwalt meint zum einen, drei Jahre zwischen Erlass der MSR und deren Beginn seien ausreichend. Zum anderen verneint er einen Grundsatz, nach dem die Rahmenbedingungen für eine neue Handelsperiode vor und nicht während einer Handelsperiode zu setzen sind. Unternehmen hätten ohnehin keinen Anspruch auf bestimmte Preise, weswegen eine Verschiebung der Gesamtmenge durch eine Reserve unproblematisch sei. Auch im letzten Punkt, der Verhältnismäßigkeit zur Zielerreichung, wendet sich der Generalanwalt gegen Polen. Diese hatten sich darauf berufen, die MSR wäre unnötig, um den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU nachzukommen. Mengozzi berief sich nun darauf, das sei auch gar nicht deren Ziel. Ziel sei vielmehr die Funktionalität des Systems.
Wann der EuGH nun entscheidet, ist noch offen. Die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der EuGH dem Generalanwalt folgen wird. Dass die anderen Mitgliedstaaten mit diesem Ergebnis rechnen, zeigt vermutlich schon der Umstand, dass seit Klageerhebung die MSR sogar noch einmal verschärft worden ist: Im Zuge der Vorbereitungen für die vierte Handelsperiode wurde beschlossen, dass die Menge an Zertifikaten, die in die Reserve eingestellt werden, von ursprünglich 12% auf zunächst 24% erhöht wird, wenn die Überschüsse 833 Mio. Zertifikaten überschreiten. Und dass diejenigen Zertifikate, die die Versteigerungsmenge des Vorjahres übersteigen, ab 2023 gelöscht werden sollen.