Was kommt nach der Bandlast?

Im „alten“ Stromnetz waren Bandlast­kunden super (Stamm­leser noch aus 2018 kennen unsere Air Vollmer): Wer möglichst gleich­mäßig möglichst viel Strom bezog, entlastete das Netz, und dieser Vorteil wurde durch deutlich abgesenkte Netzent­gelte an ihn weiter­ge­geben. Doch mit dem steigenden Anteil volatiler Einspeisung relati­viert sich der Wert der Bandlast. Die Bundes­netz­agentur hat deswegen im Zuge ihrer generellen Neure­gelung der Netzent­gelte (diesmal heißt das Baby „AgNeS“) ganz aktuell ein Diskus­si­ons­papier vorgelegt, das die Grundlage für eine Reform der Netzent­gelte für strom­in­tensive Unter­nehmen bilden soll. Ziel ist es, die bestehenden Sonder­re­ge­lungen – insbe­sondere § 19 Absatz 2 StromNEV – so neu zu fassen, dass die großen Verbraucher künftig flexibler und damit netzdien­licher beziehen. Denn angesichts der Heraus­for­de­rungen der Energie­wende und der zuneh­menden Bedeutung von Flexi­bi­lität im Strom­ver­brauch, reichen die bishe­rigen, rein verbrauchs­ori­en­tierten Rabatt­mo­delle nicht mehr aus. Künftig sollen Netzent­gelt­pri­vi­legien nicht mehr allein an hohe Strom­ab­nahmen geknüpft sein, sondern an system­dienliche Gegen­leis­tungen wie flexible Lastan­passung. Im Mittel­punkt des nun vorge­legten Diskus­si­ons­pa­piers stehen deswegen drei Modell­vor­schläge, die diesen Leitge­danken folgen:

Modell 1: Spotmarkt­ori­en­tierte Flexi­bi­li­täts­an­reize
Dieses Modell setzt auf die Kopplung von Verbrauchs­ver­halten an Preis­ent­wick­lungen am Strom­markt. Unter­nehmen sollen in Zeiten hoher Spotmarkt­preise ihren Verbrauch senken und bei niedrigen Preisen erhöhen. Grundlage für eine Belohnung ist die Abwei­chung vom typischen Verbrauchs­ver­halten (z. B. einem Tages­durch­schnitt). So sollen Unter­nehmen finan­zielle Anreize erhalten, flexibel auf Markt­si­gnale zu reagieren – was zugleich auch das Gesamt­system entlastet. Das Modell verspricht hohe Markt­in­te­gration, stellt aber auch Anfor­de­rungen an Progno­se­fä­higkeit, Messin­fra­struktur und die Bereit­schaft, kurzfristig zu reagieren.

Modell 2: Zeitlich definierte Lastfenster
In diesem Modell definieren die Netzbe­treiber bestimmte Zeiträume, in denen eine Reduktion oder Verla­gerung des Strom­ver­brauchs besonders netzdienlich ist, etwa zur Vermeidung von Engpässen. Unter­nehmen, die ihren Verbrauch gezielt in diesen Fenstern anpassen, quali­fi­zieren sich für Netzent­gelt­ver­güns­ti­gungen. Dieses Modell erlaubt eine bessere Steuer­barkeit aus Netzsicht und eröffnet Unter­nehmen planbare Handlungs­spiel­räume. Es setzt aller­dings eine enge Koordi­nation zwischen Netzbe­treibern und Verbrau­chern voraus und funktio­niert nur mit trans­pa­renten Regeln für die Festlegung dieser Zeitfenster.

Modell 3: Netzbe­trei­ber­in­iti­ierte Lastan­passung
Im dritten Modell hat der Netzbe­treiber den Hebel in der Hand. Er kann im Bedarfsfall gezielt Lastan­pas­sungen bei privi­le­gierten Unter­nehmen anfordern. Nur wer auf solche Anfor­de­rungen reagiert – etwa durch kurzfristige Lastre­duktion oder Verschiebung – zahlt ein reduzier­tes­Netz­entgelt. Dieses Modell verspricht eine besonders hohe System­wirk­samkeit, da Lastan­pas­sungen genau dort erfolgen, wo sie gebraucht werden. Es ist aber technisch und vertraglich am komple­xesten, da eine zuver­lässige Kommu­ni­kation, Überwa­chung und Bewertung erfor­derlich ist.

Statt pauschaler Rabatte für gleich­mä­ßigen Strom­ver­brauch sollen damit künftig nur noch solche Unter­nehmen entlastet werden, die einen echten Beitrag zur Netzsta­bi­lität leisten. Dies entspricht nicht nur energie­wirt­schaft­lichen Zielen, sondern auch europa­recht­lichen Vorgaben: Ausnahmen beim Netzentgelt müssen durch eine Gegen­leistung gerecht­fertigt sein.

Nun ist die Öffent­lichkeit gefragt. Bis zum 21.10.2025 kann zum Diskus­si­ons­papier Stellung genommen werden (Miriam Vollmer).

2025-10-02T20:43:07+02:002. Oktober 2025|Allgemein|

Ende der Abfall­ei­gen­schaft: Kommen jetzt EU-weite Standards für Kunststoffe?

Die Diskussion um das Ende der Abfall­ei­gen­schaft bei Kunst­stoffen nimmt auf europäi­scher Ebene Fahrt auf. Bislang gilt in Deutschland allein § 5 KrWG, der allge­meine Kriterien vorgibt – etwa, dass ein Verwer­tungs­ver­fahren abgeschlossen sein muss, ein konkreter Verwen­dungs­zweck und ein Markt existieren und Umwelt- wie Gesund­heits­ri­siken ausge­schlossen sind. In der Praxis führt das jedoch zu einer Vielzahl von Einzel­fall­ent­schei­dungen durch Behörden (wenn überhaupt!) und zu erheb­licher Rechts­un­si­cherheit für Recycler und Abnehmer. Über allem schwebt auch immer ein gewisses Maß Angst.

Mit dem Bericht des Joint Research Centre (JRC) der Europäi­schen Kommission liegt seit 2024 ein umfas­sender techni­scher Vorschlag für EU-weite End-of-Waste-Kriterien für Kunst­stoff­ab­fälle vor (hier). Vorge­sehen sind klare Anfor­de­rungen an die Qualität der Eingangs­ma­te­rialien, die Recycling­pro­zesse selbst sowie die Beschaf­fenheit der entste­henden Rezyklate. Auch Dokumen­ta­tions- und Rückver­folg­bar­keits­pflichten sind Teil des Konzepts. Ziel ist es, einheit­liche Standards zu schaffen, die über alle Mitglied­staaten hinweg gelten und den Markt für hochwertige Rezyklate beleben.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Rechts­si­cherheit für Unter­nehmen, weniger Bürokratie beim Handel und Transport sowie ein gestärkter Sekun­där­roh­stoff­markt. Gleich­zeitig stellen die Kriterien hohe Anfor­de­rungen an Quali­täts­si­cherung, Monitoring und die Schnitt­stellen zum Chemi­kalien- und Produkt­recht. Vor allem die Hetero­ge­nität von Kunst­stoffen und die Vielzahl an Additiven machen die Ausge­staltung anspruchsvoll. Dies könnte hier auch die Achil­les­ferse werden.

Die JRC-Vorschläge sind nicht rechtlich bindend, doch sie bilden die Grundlage für eine kommende EU-Recht­setzung. Und hier soll es wohl schnell gehen, berichtet zumindest EUWID. So wird die Kommission womöglich noch vor Jahresende einen Vorschlag für End-of-Waste-Kriterien an mecha­nisch und physi­ka­lisch recycelte Altkunst­stoffe vorlegen.

Zusammen mit der neuen Verpa­ckungs­ver­ordnung, die Rezyklat­quoten verbindlich vorschreibt, könnte das Ende der Abfall­ei­gen­schaft bei Kunst­stoffen damit in den nächsten Jahren zu einem echten Hebel für die europäische Kreis­lauf­wirt­schaft werden. Wünschenswert wäre es zumindest… (Dirk Buchsteiner)

2025-10-02T19:16:58+02:002. Oktober 2025|Abfallrecht|

Jetzt auch Landge­richt Berlin: Erdgas­bindung kein ausrei­chendes Markt­element in Wärmelieferungsverträgen

Wir hatten hier bereits vor kurzem über die aktuelle Entscheidung des Landge­richts Frankfurt/Main berichtet, wonach eine Preis­än­de­rungs­klausel in einem Wärme­lie­fe­rungs­vertrag gegen die gesetz­lichen Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV verstößt, wenn der Wärme­ver­sorger zur Abbildung der Verhält­nisse auf dem Wärme­markt (Markt­element) allein auf die Bindung an einen Erdgas­index abstellt.

Zum gleichen Ergebnis ist nun auch das Landge­richt Berlin in einer von uns erstrit­tenen Entscheidung vom 26.09.2025, Az. 19 O 270/24 gelangt. Das Landge­richt Berlin führt dort aus:

Die Preis­an­pas­sungs­klausel wird den Anfor­de­rungen an das Markt­element nicht gerecht und ist daher gem. § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFern­wärmeV unwirksam. Die Klausel berück­sichtigt hierbei nur den Markt­preis für Erdgas und nicht den gesamten Wärme­markt. Mit dieser fernwär­me­recht­lichen Beson­derheit wollte der Verord­nungs­geber angesichts der häufig monopol­ar­tigen Stellung von Versor­gungs­un­ter­nehmen gegenüber einer rein kosten­ori­en­tierten Preis­an­passung (wie etwa nach § 24 Abs. 3 Satz 1 AVBWasserV) gewähr­leisten, dass Versorger durch Anpas­sungen des Wärme­preises nicht beliebig ihre Kosten weiter­reichen können, sondern sich aufgrund der Einbe­ziehung der Verhält­nisse am Wärme­markt – womit der allge­meine, das heißt der sich auch auf andere Energie­träger erstre­ckende Wärme­markt gemeint ist  – dem Vergleich mit anderen Energie­an­bietern stellen müssen und so einen Anreiz haben, die Wärme­ver­sorgung effizient zu gestalten.“

Weiterhin betont das Landge­richt Berlin das Erfor­dernis der Diver­sität beim Marktelement:

Da dieses Merkmal der Diver­sität der Energie­träger somit der zentrale Faktor für die Beurteilung des Markt­ele­ments ist, kommt es nicht darauf an, ob die von der Beklagten gewählte Referenz auf den Preis für Erdgas auf den markt­be­stim­menden und somit unter diesem Gesichts­punkt mögli­cher­weise markt­re­prä­sen­ta­tiven Energie­träger abstellt. Die Markt­re­ferenz der Beklagten hätte für die Anpassung des Arbeits­preises zumindest eine Vielzahl an Energie­trägern einbe­ziehen müssen, um ein mit § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFern­wärmeV verein­bares Markt­element darzu­stellen. Der Rückgriff auf den Mittelwert für Gas-Future-Preise nach dem EEX wird dem nicht gerecht.“

Eine reine Erdgas­bindung wurde in der Vergan­genheit in vielen Wärme­lie­fe­rungs­ver­trägen als vermeint­liches Markt­element verwendet. Man berief sich dafür auf eine angeb­liche Markfüh­rer­schaft von Erdgas. Dieser Auffassung haben mit LG Frankfurt und LG Berlin nunmehr in kurzer Zeit bereits zwei deutsche Gerichte widersprochen.

Beide Entschei­dungen sind noch nicht rechtskräftig.

(Christian Dümke)

2025-10-02T12:04:24+02:002. Oktober 2025|Allgemein|