Nachdem die CDU in den letzten Wochen des Wahlkampfes wegen ihrer gemein­samen Abstimmung mit der AfD in die Defensive geraten ist, holt sie nun zum Gegen­schlag aus: In einer kleinen Anfrage der Unions­frak­tionen an die Bundes­re­gierung wird zahlreichen Vereinen und Verbänden der Zivil­ge­sell­schaft die Gemein­nüt­zigkeit streitig gemacht. Sie hätten sich durch Aufrufe und Organi­sation von partei­po­li­ti­schen Demons­tra­tionen zu stark positio­niert und dabei ihr Mandat zur Verfolgung gemein­nüt­ziger Ziele gemäß Abgaben­ordnung überschritten.

Ähnlich wie schon die Koope­ration der CDU mit einer rechts­extremen Partei ist der Vorgang in der Geschichte der Bundes­re­publik einmalig. Denn für liberale „westliche“ Gesell­schaften war bisher charak­te­ris­tisch, dass es zwischen dem Staat und der Privat­sphäre noch etwas Drittes gibt: die Zivil­ge­sell­schaft. In Deutschland gewähr­leistet die Verfassung diese (vor-)politische Öffent­lichkeit und schirmt sie zugleich von der Staats­or­ga­ni­sation als auch von der Privat­wirt­schaft ab, sei es über die Gebüh­ren­fi­nan­zierung des öffent­lichen Rundfunks, sei es über das Steuer­pri­vileg der gemein­nüt­zigen NGOs. Die staat­liche Förderung setzt voraus, dass die politische Öffent­lichkeit ihrer­seits plura­lis­tisch und inklusiv ist sowie partei­po­li­tisch neutral und frei von Profit­in­ter­essen. Konkret geregelt ist das zum Beispiel in § 52 Abgaben­ordnung (AO), wo sich die Kriterien für Gemein­nüt­zigkeit finden. Inbesondere wird die Verfolgung eines Katalogs von mehreren zuläs­sigen Zielen gefordert, etwa die Förderung von Natur- oder Umwelt­schutz, von Flücht­lingen, politisch, rassis­tisch oder religiös Verfolgten, die Förderung des Sports „(Schach gilt als Sport)“, die Förderung der Heimat­pflege etc. Die genannten gemein­nüt­zigen Ziele müssen in der Satzung der Organi­sation benannt und gemäß § 56 AO ausschließlich von ihr verfolgt werden. D.h. es darf keine anderen Zwecke geben neben ihnen.

Hier hat die AfD schon länger eine Chance gewittert, die politi­schen Aktivi­täten der Vereine und Verbände, ihre aktive Rolle bei der Meinungs­bildung zu sabotieren: Sie haben mit „München ist bunt“ eine Organi­sation beim Finanzamt angezeigt, die sich gegen Ausgrenzung und für Demokratie einsetzt. Bei „München ist bunt“ hat das Finanzamt entschieden, dass die Gemein­nüt­zigkeit gegeben ist. Trotzdem geraten die Vereine unter Druck. Schon im Sommer 2024 haben deutsch­landweit 110 Vereine, darunter lokale Sport­vereine, darauf hinge­wiesen, dass das Gemein­nüt­zig­keits­recht refor­miert werden solle, da sie von der AfD unter Druck gesetzt würden. Und das ist tatsächlich für Vereine nicht nur ein Ärgernis, sondern ein erheb­liches Risiko. Schließlich ist die Prüfung der Gemein­nüt­zigkeit bei anderen Organi­sa­tionen, etwa Attac und Campac, anders ausge­gangen. Bei Attac hatte schließlich der Bundes­fi­nanzhof entschieden, dass ihre Tätigkeit zu sehr auf politische Meinungs­bildung ausge­richtet sei. 

Die kleine Anfrage der Unions­frak­tionen geht über eine gezielte Korrektur an Fehlent­wick­lungen im Detail deutlich hinaus. Vielmehr stellen die Anfra­genden die Funktion und staat­liche Gewähr­leistung der Zivil­ge­sell­schaft viel grund­sätz­licher in Frage. Und das in einer bemer­kenswert raunenden Rhetorik: „Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schat­ten­struktur, die mit staat­lichen Geldern indirekt Politik betreibt“, so heißt es wörtlich in der Anfrage. Wenn man Kritik übt – und das dann noch in Form einer Unter­stellung, liebe Bundes­tags­ab­ge­ord­neten der Union, dann soll man schon Ross und Reiter nennen. Wenn man sich das nicht traut, dann mögli­cher­weise, weil man offen legen müsste, dass man sich auf rechts­extreme Verschwö­rungs­theo­re­tiker beruft.

Die CDU bewegt sich daher mit ihrer Strategie in den Fußstapfen der AfD, die schon länger ihr unliebsame NGOs bei den Finanz­ämtern angeschwärzt hat. Der zivil­ge­sell­schaft­liche öffent­liche Raum ist bestimmten politi­schen Akteuren rechts der Mitte offenbar ein Dorn im Auge. Es sind nicht mehr nur die offen­sicht­lichen Feinde von Plura­lismus und Meinungs­freiheit, die AfD, sondern auch die Verfechter eines vermeintlich effizi­enten „Durch­re­gierens“ die immer strengere Kriterien für die politische Betätigung zivil­ge­sell­schaft­licher Organi­sa­tionen durch­zu­setzen versuchen. Dadurch kommen nicht nur diese Organi­sa­tionen, sondern allgemein die Möglichkeit der freien Meinungs­bildung in der Öffent­lichkeit jenseits von Staats­or­ga­ni­sation und Privat­wirt­schaft unter Druck.

Rechtlich ist dabei aber zu berück­sich­tigen, dass Parteien gemein­nüt­zigen Organi­sa­tionen keineswegs einen „Maulkorb“ anlegen dürfen. Vielmehr ist es auch nach der Rechts­spre­chung des Bundes­fi­nanzhofs durchaus erlaubt, sich als gemein­nützige NGO politisch zu äußern, solange dies auch dem gemein­nüt­zigen Vereins­zweck dient. Umwelt­ver­bände dürften also durchaus gegen die CDU auf die Straße gehen, wenn sie Windräder rausreißen will und die Atomkraft fördern. Umwelt­schutz darf nicht auf das Aufhängen von Vogel­häuschen beschränkt werden. Genauso dürfen natürlich auch Organi­sa­tionen, die sich für politisch oder rassis­tisch verfolgte Flücht­linge einsetzen, für das Asylrecht und gegen den Schul­ter­schluss zwischen AfD und CDU auf die Straße gehen. Vor den Gerichten dürfte die CDU mit ihrem Vorstoß daher vermutlich in den aller­meisten Fällen krachend scheitern.

Deutlich wird aber auch, dass es höchste Zeit wäre, das Gemein­nüt­zig­keits­recht zu refor­mieren, um für Vereine Klarheit zu schaffen. Gefordert wird das aktuell etwa von der Gesell­schaft für Freiheits­rechte. So eine Reform muss deutlich machen, dass zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen für alle Bevöl­ke­rungs­gruppen offen sein müssen, Menschen­rechte und Demokratie respek­tieren sollen. Konflikte mit Parteien, die offen für Ausgrenzung und gegen Demokratie eintreten, sind dabei unver­meidbar. Sie dürfen nicht dazu führen, dass zivil­ge­sell­schaft­liche Akteure ihre Gemein­nüt­zigkeit verlieren. (Olaf Dilling)