Dass die EU Erneu­erbare-Energien-Richt­linie (EU) 2023/2413 (Renewable Energy Direc­tives, RED III) von den Mitglied­staaten die Ausweisung von „Beschleu­ni­gungs­ge­biete“ für den Ausbau von Erneu­er­baren Energien fordert, hatten wir im August bereits berichtet. Ende September hat der aktuelle Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Richt­linie (EU) 2023/2413 in den Bereichen Windenergie an Land und Solar­energie sowie für Energie­spei­cher­an­lagen am selben Standort die 1. Beratung im Bundestag passiert.
Welche Heraus­for­de­rungen sich daraus für Raumordnung und Bauleit­planung ergeben, war nun Gegen­stand des 7. Greifs­walder Gesprächs am Institut für Energie- Umwelt- und Seerecht (IfEUS).

Für Eilige: tl;dr.

What a ride. Der Ausbau der Erneu­er­baren soll europaweit nicht mehr nur irgendwie zielori­en­tiert, sondern schnellst­möglich erfolgen. Beschleu­ni­gungs­ge­biete für den EE-Ausbau sind eines der hierfür vorge­se­henen Instru­mente: Bei ihrer Festlegung wird die Umwelt- und FFH-Prüfung vorge­zogen und auf Planungs­ebene für ganze Gebiete abgehandelt (Art. 15c RED III). Nach Ausweisung gilt die Vermutung: Innerhalb dieses Gebietes entfaltet ein konkretes EE-Projekt keine nachtei­ligen Umwelt­wir­kungen. Das vorha­ben­be­zogene Geneh­mi­gungs­ver­fahren (Art. 16a RED III) ist dann im Grundsatz (mit engen Ausnahmen) frei von Prüfungen des Artenschutz‑, Habitat­schutz- und Wasser­rechts. Zusätzlich ist es in eng gesteckten Fristen binnen durch­schnittlich 12 Monaten (Repowering 6, Offshore-Wind 24) durchzuführen.Greifswald, Deutschland, Stadt, Norden

Die Umsetzung in Deutschland soll im ROG und BauGB (Umsetzung des Art. 15c III RED III; Planungs­ebene), sowie im WindBG erfolgen, das in diesem Zuge gleich umbenannt wird und nicht mehr nur Wind‑, sondern auch Solar­pro­jekte (Umsetzung des Art. 16a RED III; erleich­tertes Verfahren) erfasst.

Neben begriff­lichen Unschärfen sowohl in der Richt­linie selbst, als auch im aktuellen Umset­zungs­entwurf ist noch fraglich: Was es mit den Regional- und Flächen­nut­zungs­plänen macht, wenn ihre Festle­gungen von Beschleu­ni­gungs­ge­bieten zukünftig quasi-Baurecht darstellen (die Bundes­re­gierung sagt: es ist nur ein plane­ri­scher Akt sui generis). Was es mit den Raumplanern macht, die plötzlich Konflikte erkennen und lösen müssen, für die vorher andere zuständig waren. Und nicht zuletzt, ob die Vorver­la­gerung zu einer Rechts­weg­ver­kürzung für Umwelt­ver­bände entgegen Art. 9 abs. 3 Aarhus-Konvention führt.
Klar ist: es gibt richtig viele offene Fragen, auf allen Ebenen – offenbar erkennen das aber auch alle Ebenen. Das gemeinsame Ziel, den EE-Ausbau zu beschleu­nigen, kann in koope­ra­tiver Kraft­an­strengung gelingen.

Und: Reisen Sie bei Gelegenheit nach Greifswald, es lohnt sich. Von kunst­vollem Buntglas­fenster im Dom bis zu Kuchen im Café Koeppen.

Für Entschleu­nigte und Paragra­phenfans: Langfassung. 

Frage­stel­lungen im Überblick
Wenn sich allein zur Online-Teilnahme 400 bundesweit zu einem solchen Abend anmelden, ist das eine Ansage. Weshalb das gewohnt juris­tisch-sperrige Thema des Abends – „Beschleu­ni­gungs­ge­biete und Mehrfach­nutzung: Heraus­for­de­rungen für Raumordnung und Bauleit­planung“ solch breites Interesse erregt, machten die beiden einfüh­renden Vorträge der Insti­tuts­leitung Prof. Dr. Sabine Schlacke sowie von Jörn Mothes aus dem Klima­schutz­mi­nis­terium M‑V aber rasch deutlich: Paradig­men­wechsel im Recht, die notwendige Koordi­nierung von Mehrfach­nut­zungen angesichts verschärfter Flächen­kon­kur­renzen im Außen­be­reich, Zielkon­flikte zwischen EE-Ausbau und Arten­schutz, und das Ganze unter einem krisen- und trans­for­ma­ti­ons­ge­trie­benen Fristen­druck, der seines­gleichen sucht – das sind Zutaten, die von Vorha­ben­trägern bis zu Natur­schutz­ver­bänden, von Landwir­tinnen bis zur Wohnungs­bau­ge­sell­schaft, von der Richter- bis zur Anwalt­schaft, und nicht zuletzt die Landes­po­litik selbst antreiben, frühest­möglich die Auswir­kungen für die jeweilige Praxis abschätzen zu können. Und die Heraus­for­de­rungen sind letztlich nur in Koope­ration zu lösen.

RED III: Vom Förder­instrument zum Instrument der Genehmigungsbeschleunigung

Syste­matik und Rechts­folgen des neuen zweistu­figen Planungs- und Geneh­mi­gungs­re­gimes für Beschleu­ni­gungs­ge­biete erläu­terte Eva-Maria Thierjung im ersten von drei Fachvor­trägen präzise. Wesentlich soll durch die Vorver­la­gerung von Umwelt­prü­fungen, die hier denkbaren Konflikte und Lösungen auf die Planungs­ebene eine deutliche Beschleu­ni­gungs­wirkung für EE-Vorhaben erzielt werden. Dazu wird zunächst das Festle­gungs­ver­fahren für Beschleu­ni­gungs­ge­biete nach Art. 15 c RED III durch­ge­führt. Es beinhaltet neben dem Ausschluss bestimmter Gebiete von vornherein (z.B. Natura-2000-Gebiete) die strate­gische Umwelt­prüfung bzw. FFH-Prüfung. Für Flächen, die nach diesem Verfahren erfolg­reich festgelegt wurden, gilt dann eine weitrei­chende Vermu­tungs­wirkung, dass kein Verstoß gegen die geprüften Umwelt­vor­schriften vorliegt (Art. 15c Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 RED III). Dies bewirkt erheb­liche Verfah­rens­er­leich­te­rungen auf der zweiten Ebene – im vorha­ben­be­zo­genen Zulas­sungs­ver­fahren nach Art. 16a RED III: Die Geneh­migung von EE-Vorhaben in Beschleu­ni­gungs­ge­bieten erfordert nur noch ausnahms­weise Nachprüfung im Hinblick auf Umwelt­wir­kungen (z.B. Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung). Zusätzlich sind Fristen von durch­schnittlich 12 Monaten mit verkürzten Dauern für Repowering (6 Monate) und verlän­gerten Dauern für Offshore-Wind-Projekte (max. 2 Jahre) einzuhalten.

Umsetzung in Deutschland: Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Dr. Jörg Wagner (BMWSB) berichtete im Anschluss zum aktuellen Stand des Umset­zungs­ge­setzes (Entwurf: BT-Drs. 20/12785) mit den geplanten Änderungen im Windener­gie­flä­chen­be­darfs­gesetz (WindBG‑E), im Bauge­setzbuch (BauGB‑E) sowie im Raumord­nungs­gesetz (ROG‑E):

Um die Vorgaben des Art. 15 c RED III für Windenergie-Beschleu­ni­gungs­ge­biete umzusetzen, müssen Plange­biete für Windenergie zukünftig nach § 28‑E Raumord­nungs­gesetz (ROG) zusätz­liche als Beschleu­ni­gungs­ge­biete ausge­wiesen werden. Auch im Bauge­setzbuch (BauGB) wird dies verankert und mit Regeln für Minde­rungs­maß­nahmen für den Arten­schutz flankiert (§ 249a‑E BauGB iVm Anlage 3 BauGB‑E).

Die Verfah­rens­er­leich­te­rungen des Art. 16 a RED III sollen § 6b Abs. 1 und 2 WindBG‑E und § 10a Abs. 4 BImschG‑E regeln: Das Zulas­sungs­ver­fahren wird dann ohne UVP, FFH-Prüfung, Minde­rungs­maß­nahmen und wasser­recht­liche Prüfung innerhalb der vorge­ge­benen Fristen durch­zu­führen sein. Das „Screening“ zum Ausschluss erheb­licher Umwelt­aus­wir­kungen aus Art. 16a Abs. 4 RED III soll als als „Überprüfung“ nach § 6b Abs. 1 S. 2 WindBG-neu auf Grundlage vorhan­dener Daten (§ 6b Abs. 3 bis 7 WindBG‑E) erfolgen.
Plange­biete für Solar­ener­gie­an­lagen (Photo­voltaik und Solar­thermie) können nach § 29 ROG‑E zusätzlich als Beschleu­ni­gungs­ge­biete im Sinne der RED III ausge­wiesen werden. Im BauGB sollen die bisher in § 249b enthal­tenen Privi­le­gie­rungen von Photo­vol­ta­ik­an­lagen auf Tagebau­flächen in einen neuen § 249e‑E BauGB verschoben werden. § 249b‑E BauGB soll zukünftig die Privi­le­gierung von Solar­ener­gie­an­lagen nach Maßgabe eines Regional- oder Flächen­nut­zungs­plans mit Umwelt­prüfung ermög­lichen. Im Gegensatz zur zwingenden Ausweisung von Beschleu­ni­gungs­ge­bieten für Windenergie ist eine Möglichkeit zur Ausweisung für Solar­ener­gie­an­lagen vorge­sehen: Regeln über die Ausweisung selbst sowie für Minde­rungs­maß­nahmen ergeben sich aus § 249c‑E BauGB nebst Anlage 3‑E BauGB.

Eine dem WindBG vergleichbare Regelung fehlte bisher für Solar­ener­gie­an­lagen. Nun soll die Geset­zes­be­zeichnung entspre­chend erweitert und das Gesetz um solar­be­zogene Bestim­mungen ergänzt werden. Das Zulas­sungs­ver­fahren wird dann in § 6c‑E WindBG im Wesent­lichen analog zum Geneh­mi­gungs­ver­fahren für Windener­gie­an­lagen in Beschleu­ni­gungs­ge­bieten geregelt. Unter­schiede ergeben sich insbe­sondere daraus, dass bestimmte Vorgaben der RED III im Bauord­nungs­recht durch Landes­gesetz umzusetzen sind (insb. Frist­vor­gaben aus Art. 16a Abs. 4 S. 4 und 5 RED III); auch sind teils Beson­der­heiten bei den Minde­rungs­maß­nahmen (ökolo­gische Durch­gän­gigkeit bei Solar­an­lagen von > 500 m Seiten­länge, § 6c Abs. 4 S. 2‑E WindBG) sowie hinsichtlich der Zulassung von Solar-Projekten auf entwäs­serten Moorböden (§ 6c Abs. 6‑E WindBG) vorgesehen.

Dr. Wagner schloss mit dem Resümee, dass der gesetz­ge­be­rische Umset­zungs­prozess innerhalb des komplexen Zielge­füges der RED III, ebenso komplexen Inter­es­sen­lagen und der Frage nach dem besten Weg für eine nachhaltige Steuerung der Flächen­nutzung in den Außen­be­reichen der Republik einer Mediation gleich­komme. Da die langfristige Flächen­wirk­samkeit der derzeit getrof­fenen politi­schen Entschei­dungen nicht ohne weiteres absehbar sei, werde auch eine wissen­schaft­liche Begleitung durch das BBSR ab 2025 erfolgen.
Unions­rechts­kon­for­mität, Kohärenz im Umsetzungs-Entwurf
Prof. Dr. Edenharter unterzog in ihrem abschlie­ßenden Vortrag den Umset­zungs-Entwurf einer kriti­schen Betrachtung mit Blick auf seine Europa­rechts­kon­for­mität sowie das Ziel der Entlastung von Verwaltung und Vorha­ben­trägern. Proble­ma­tisch sei etwa, dass die RED III relative Freiheit bei der Daten­grundlage zur Identi­fi­zierung von geeig­neten Gebieten lasse – der deutsche Umset­zungs­entwurf dagegen die ohnehin spärliche Daten durch erhöhte Anfor­de­rungen unzulässig verringere (Art. 15 c Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 lit. A) iii) RED III vs. § 6 b Abs. 3 S. 1 und 2 WindBG‑E).

Sie wies zudem auf das Sonder­problem an der Schnitt­stelle zum Völker­recht hin, nach dem die Verein­barkeit des Entwurfs für die RED III-Umsetzung mit Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention zweifelhaft sei. Schließlich stelle die Errichtung von PV-Anlagen auf Grundlage eines Flächen­nut­zungs­plans oder Raumord­nungs­plans (§ 249b Abs. 2, Abs. 5 BauGB‑E) einen System­bruch im deutschen Baupla­nungs­recht dar, der erheb­liche neue Anfor­de­rungen stelle. Es bestehe die Gefahr, dass der an sich als positiver Beitrag zur Beschleu­nigung des EE-Ausbaus wünschens­werte Gesetz­entwurf durch Unklar­heiten bzw. die Überfor­derung der zustän­digen Behörden und Planungs­träger Beschleu­ni­gungs­ef­fekte verpuffen ließe. Diese Befürch­tungen wurden im Rahmen der Diskussion von teilneh­menden Planungs­mit­ar­beitern geteilt – es fehle den Raumplanern schlicht an parzel­len­scharfem Karten­ma­terial. Es sei zeitin­tensiv ein geeig­neter Daten­be­stand aufzu­bauen, oder die Gefahr von Fehlein­schät­zungen zu berücksichtigen.

Fazit und Reiseempfehlung

Im komplexen Rechts- und Umset­zungs­rahmen können zahlreiche Fragen zur Mehrfach­nutzung von Flächen und zu der Ausweisung von Beschleu­ni­gungs­ge­bieten derzeit schlicht noch nicht abschließend beant­wortet werden. Die 7. Greifs­walder Gespräche mit den drei Vorträgen als Kernstück bildeten jedoch einen hervor­ragend abgestimmten Rundum-Blick auf die Neuerungen im Rechts­rahmen. Kombi­niert mit den durch Dr. Gurrek und Prof. Dr. Sauthoff kennt­nis­reich moderierten, von einem inter­es­sierten Publikum lebhaft geführten Zwischen­dis­kus­sionen haben Prof. Schlacke und das IfEUS einen absolut spannenden und berei­chernden Abend ermöglicht.
Für zukünftige Veran­stal­tungen in der Reihe der Greifs­walder Gespräche, sei im übrigen eine Vor-Ort-Teilnahme wärmstens empfohlen: Greifswald feiert das Jubilä­umsjahr zu Caspar David Fried­richs 250. Geburtstag mit zahlreichen Kultur­ver­an­stal­tungen und Sonder­aus­stel­lungen – und der Greifs­walder Dom hat aus diesem Anlass sehens­werte, vom islän­di­schen Künstler Olafur Eliasson gestaltete Buntglas­fenster erhalten. Kuchen und regionale Mitbringsel gibt’s im Café Koeppen. (Friederike Pfeifer)