Eine Thüringer Wölfin, zuhause im Schutzgebiet „TÜP Ohrdruf-Jonastal“, hatte sich behördlich unbeliebt gemacht, weil sie 2019 in erheblichen Größenordnungen Schafe und Ziegen gerissen hatte. Die Behörde beschloss deswegen, das Tier zu „entnehmen“, vulgo abschießen zu lassen.
Bekanntlich geht von Widerspruch und Klage normalerweise eine aufschiebende Wirkung aus. Die Behörde fürchtete also, dass der Abschuss erst stattfinden könnte, wenn ein möglicherweise langwieriges Verfahren auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung beendet sein würde, und ordneten die sofortige Vollziehung an. Es sollte also erst geschossen und dann über die Rechtmäßigkeit dieses Abschusses nachgedacht werden.
Doch der Freistaat hatte die Rechnung ohne den Umweltverband gemacht: Der NaBu zog vor Gericht und focht nicht nur die Entnahmeentscheidung an, sondern auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das angerufene Verwaltungsgericht (VG) Gera gab diesem Antrag am 20.02.2020 statt und stellte die aufschiebende Wirkung wieder her. Die Wölfin darf also erst geschossen werden, wenn der NaBu fertig geklagt hat und verloren haben sollte.
Nun sind Wölfe bekanntlich artenschutzrechtlich geschützt. Sie unterliegen einem in § 44 BNatSchG geregelten Tötungsverbot. Allerdings erlaubt § 45 Abs. 7 BNatSchG unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen von diesem Grundsatz. Von einer solchen Ausnahme ging das Land Thüringen hier aus. Sie beriefen sich nämlich nicht direkt auf den wirtschaftlichen Schaden der Schäfer, sondern argumentierten, dass die Schäfer aufgeben oder abwandern würden, wenn sie weiter finanzielle Schäden durch gerissene Schafe erleiden würden. Wenn die Schäfer verschwinden würden, würde dies aber dem Schutzgebietscharakter schaden, denn die Schafe seien erforderlich, um das größe Kalk-Halbtrockenrasen-Vorkommen in Thüringen zu bewahren. Dies schien der Behörde so dringend, dass unverzüglich zur Tat geschritten werden sollte, denn der Schaden für den Kalk-Halbtrockenrasen war offenbar so akut, dass ein unwiderbringlich toter Wolf dem gegenüber den Beamten nicht genauso schwer ins Gewicht zu fallen schien.
Dies überzeugte die Richter nicht. Sie wiesen darauf hin, dass es zwar möglich sei, dass die Maßnahme dem Kalk-Halbtrockenrasen-Vorkommen in Thüringen nutze, also geeignet sei, aber nicht hinreichend geprüft wurde, ob sie auch verhältnismäßig ist. Mit anderen Worten: Die Richter halten es für zumindest gut möglich, dass auch weniger einschneidendere Maßnahmen als der Abschuss den Kalk-Halbtrockenrasen genauso gut schützen können. Sie nannten etwa Zäune, Hunde und Pferche.
Was resultiert aus der Entscheidung für die Praxis? Im Ergebnis nicht viel. Auch die Richter in Gera sind davon überzeugt, dass es gute Gründe geben kann, einen Abschuss zu rechtfertigen. Aber etwas mehr Mühe als der Freistaat Thüringen mit ihrem Kalk-Halbtrockenrasen-Vorkommen muss eine Behörde sich schon geben, wenn sie sofort und ohne vorherige gerichtliche Prüfung einem geschützten Tier ans Leder will (Miriam Vollmer).
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