Emissionshandel, 2. Handelsperiode. Das war – Eingeweihte erinnern sich schattenhaft – so ungefähr kurz nach dem Pleistozän, also in den Jahren 2008 bis 2012, als die Bundesrepublik noch selbst Zuteilungsregeln erlassen durfte, die deswegen auch noch verhältnismäßig lesbar waren. Das damalige Regelwerk für die Zuteilung hieß Zuteilungsgesetz 2012, ZuG 2012 genannt.
Die Versteigerungskürzung
Der übergroße Teil der Berechtigungen wurde kostenlos zugeteilt. Gleichzeitig stieg die Bundesrepublik Deutschland damals erstmals in die Versteigerung von Zertifikaten ein. Sie beschränkte diese aber auf die Strom erzeugenden Anlagen. Diese hatten Politiker wie Verbraucher durch die Einpreisung des Zertifikatwerts in der ersten Handelsperiode verärgert. Die Versteigerung war damals in den §§ 19, 20 ZuG 2012 angeordnet und führte zu einer Kürzung der ansonsten kostenlosen Zuteilung für die Stromerzeugung von 15,6%.
Die deutsche Kraftwerkswirtschaft war not amused. Aus heutiger Perspektive erscheinen 15,6% geradezu läppisch. Schließlich müssen Kraftwerke seit 2013 für Strom 100% zukaufen. Auch in Zukunft wird sich daran nichts ändern. Aber die Energiewirtschaft wies damals darauf hin, dass eine solche Kürzung finanzverfassungsrechtlich schwierig sei. Zudem eine Ungleichbehandlung gegenüber der Industrie, die schließlich ebenfalls den Wert der Berechtigungen einpreise, aber zu 100% kostenlose Berechtigungen erhielt. Zudem berief sich die Energiewirtschaft darauf, dass Art. 10 S. 2 der damaligen Emissionshandelsrichtlinie nur 10% Versteigerung zuließ, aber den Stromerzeugern 15,6% abgezogen wurden, was ja nun eindeutig mehr und nicht weniger war als die erwähnten 10%. Diese hatten nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der tschechisches Recht betreffenden Entscheidung Sko Energo auch nicht nur insgesamt, sondern auch für jede einzelne Zuteilung Bedeutung. Leider hatten die deutschen Gerichte die Frage dem EuGH trotz entsprechender Anregungen nicht vorgelegt, weil zuletzt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) fälschlicherweise von einem sog. acte clair ausging, also einem europarechtlich klaren Fall.
Langjährige Garantien kostenloser Zuteilungen
Überhaupt hatte zumindest einem Teil der Kraftwerke der deutsche Gesetzgeber 2004 im ersten Zuteilungsgesetz 2007 (ZuG 2007) eine langjährig kostenlose Zuteilung versprochen.
Diese Versprechen hatten sogar Gesetzesrang. Hintergrund war, dass der damalige Umweltminister Trittin Betreiber prämieren wollte, die schon lange vor Inkrafttreten des Emissionshandels moderne emissionsarme Anlagen gebaut oder kräftig modernisiert hatten oder dies in den ersten Jahren des Emissionshandels taten. Doch obwohl die Unternehmen auf diese Garantien schon in ihren Zuteilungsanträgen hinwiesen, wurden auch die Zuteilungen gekürzt, die eigentlich diesen Garantien unterfielen.
Jetzt: Nichtannahme einer Urteilsverfasungsbeschwerde
Mit diesen Argumenten bewaffnet zog die Stromwirtschaft erfolglos zu Felde. Schließlich wurden Urteilsverfassungsbeschwerden eingelegt (an zwei dieser Beschwerden war auch ich beteiligt). Eine dieser Verfassungsbeschwerden (nicht „meine“) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nunmehr nicht zur Entscheidung angenommen und den Streit um die Versteigerungskürzung der zweiten Handelsperiode damit wohl endgültig beerdigt.
Die Beschwerdeführerin, Betreiberin eines Braunkohlekraftwerks, hatte sich auf Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG berufen. Eine Verletzung in diesen Grundrechten sah das BVerfG indes nicht, wie aus dem entsprechend begründeten Nichtannahmebeschluss hervorgeht.
Die Begründung des BVerfG ist zumindest für mich nicht in allen Punkten nachvollziehbar:
Das Gericht räumt zwar ein, dass der EuGH anders als das BVerwG davon ausging, dass die Grenze von 10% für jede einzelne Zuteilung galt. Im Ergebnis war die Kürzung damit höchstwahrscheinlich europarechtswidrig. Aber trotzdem sieht das BVerfG kein Versäumnis beim Bundesverwaltungsgericht, dass Rechtsschutz nach Ansicht des BVerfG auch bezüglich der europarechtlichen Anforderungen gewährt hätte und deswegen auch keine Vorlagepflicht verletzt habe. Aber wie kann das sein? Wenn das BVerwG sich so weitgehend irrt, dass es eine europarechtswidrige Kürzung als klar europarechtskonform ansieht, soll kein Verstoß gegen die Vorlagepflicht bestehen? Das BVerfG argumentiert hier mit unzureichendem Vortrag der Beschwerdeführerin, aber reicht es angesichts dieser klaren Ausgangslage nicht aus, dass die Kürzung unstreitig höher als 10% war? Das Urteil des BVerwG ist schließlich ebenso bekannt wie die Entscheidung Sko Energo des EuGH.
Auch in Hinblick auf Grundrechte sieht das BVerfG keine Verletzung. Dem finanzverfassungsrechtlichen Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans sei Genüge getan. Außerdem rechtfertige der „Sondervorteil“ an der seit 2005 bewirtschafteten Luft einer Einleitung von CO2 in die Luft die Abgabe, so dass auch kein Gleichheitsverstoß bestünde. Dass die Industriezuteilungen nicht gekürzt wurden, erwähnt das BVerfG zwar, rechtfertigt sie aber mit einer Vorteilsabschöpfung. Außerdem stünden die Industrieanlagen im internationalen Wettbewerb und die Stromwirtschaft nicht.
Interessant – und aus meiner Sicht besonders ärgerlich – wird es in den Rz. 41ff. Hier beschäftigt sich das BVerfG mit den langjährigen Garantien einer kostenlosen Zuteilung und erklärt recht lapidar, dass die Eigentumsgarantie es nicht gebiete, einmal ausgestaltete Rechtspositionen für alle Zukunft unangetastet zu lassen. Wenn Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Inhabers dieser Rechte überwiegen, könnte der Staat solche Rechte auch einfach wieder einkassieren.
Dies sieht das BVerfG hier als gegeben an. Die Anlagenbetreiber hätten nicht auf die gesetzgeberischen Garantien vertrauen dürfen. Damals sei der Emissionshandel noch experimentell gewesen. Außerdem hätten die Betroffenen ja nicht wegen und deswegen nach der gesetzlichen Garantie investiert, sondern in den Jahren davor neue Anlagen gebaut oder alte grundlegend modernisiert. Zudem hätte sich mit dem Wechsel der Zuteilungsregeln die alte Garantie sowieso erledigt.
In meinen Augen wirft diese Entscheidung gleich mehrere Fragen auf. Wenn nicht einmal dann, wenn klar auf der Hand liegt, dass das BVerwG sich bei der Annahme eines acte clair geirrt hat, ein Vorlageverstoß vorliegt: Wann um alles in der Welt soll ein solcher eigentlich vorliegen? Und was soll eine Beschwerde eigentlich alles enthalten, wenn die hier bekannten Fakten nicht reichen? Und wie soll eigentlich eine gesetzgeberische Garantie, auf die man bauen darf, aussehen, wenn es nicht reicht, dass in einem Gesetz steht, dass eine bestimmte Kategorie von Anlagen bis zu einem bestimmten Jahr bestimmte Privilegierungen erhält?
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