Das 13. Türchen: Die verhin­derte Schulweg-Ampel

Dass Schul­kinder möglichst früh lernen sollen, sich unabhängig und sicher in ihrem Wohnumfeld zu bewegen und in der Lage sein sollen, alleine zur Schule zu kommen, wird eigentlich öffentlich kaum bestritten. Wenn faktisch dennoch viele Kinder von ihren Eltern mit dem sogenannten „Elterntaxi“ gebracht werden, wird das oft der Überfür­sorg­lichkeit von „Helikopter-Eltern“ angelastet.

Die Realität sieht aber mitunter ganz anders aus. Die Verhält­nisse im Straßen­verkehr sind vielerorts einfach nicht so, dass Kinder gefahrlos zur Schule laufen können. Würden Sie etwa Ihre Kinder frühmorgens alleine über eine viel befahrene vierspurige Straße laufen lassen, wenn es dort weder einen Fußgän­ger­überweg noch eine Ampel­anlage gibt? Eine Initiative von Eltern und Anwoh­nenden in Berlin-Neukölln hat da berech­tigte Sorgen, die von der zustän­digen Verkehrs­be­hörde nicht geteilt werden.

Denn nach deutschem Straßen­ver­kehrs­recht ist für Beschrän­kungen des fließenden Verkehrs eine besonders quali­fi­zierte Gefah­renlage nach § 45 Abs. 9 StVO erfor­derlich. Diese Gefah­renlage wird von der Behörde im Fall der Schulweg-Ampel aus mehreren Gründen abgelehnt. Unter anderem seien zu wenig Schul­kinder unterwegs, um eine Licht­zei­chen­anlage zu recht­fer­tigen. Zudem gäbe es aufgrund benach­barter Verkehrs­ampeln immer wieder Lücken im Verkehrs­fluss, so dass ein Queren gefahrlos möglich sei. Fußgän­ger­un­fälle habe es an der betref­fenden Stelle bisher noch nicht gegeben.

Zwei Lichtzeichenanlagen

Wir haben nun für die Initiative, genau genommen für mehrere Schul­kinder, vertreten durch ihre Eltern sowie für ein Ehepaar mit Gehbe­hin­derung Klage einge­reicht. Denn wir halten den Antrag auf Einrichtung einer Fußgän­ger­ampel durchaus für begründet und ein gericht­liches Vorgehen trotz der relativ hohen recht­lichen Hürden in diesem Fall für sinnvoll.

Die Begründung der Behörde geht nämlich in wesent­lichen Punkten von falschen Tatsachen oder Bewer­tungen aus:

1) stellt sie einseitig auf die Sicherheit des Verkehrs ab, nicht auch auf die Mobili­täts­be­dürf­nisse der Kinder und von Menschen mit Behin­derung, die bei der Entscheidung nach § 45 StVO im Rahmen der Ordnung des Verkehrs auch berück­sich­ti­gungs­fähig sind. Insbe­sondere wird aus der Tatsache, dass aktuell wenig Fußverkehr an der Kreuzung herrscht, offenbar geschlossen, dass dort auch bei Herstellung einer besseren Querungs­mög­lichkeit kaum Bedarf bestünde;

2) wird bei der Beurteilung des Verkehrs­auf­kommens unter­schlagen, dass wegen der häufigen Sperrung des parallel gelegenen Autobahn­ab­schnitts die Straße oft viel dichter befahren ist, als bei den Verkehrs­zäh­lungen erhoben;

3) brauchen für eine quali­fi­zierte Gefah­renlage keine Unfälle nachge­wiesen werden, es reicht vielmehr, dass die Verhält­nisse vor Ort Unfälle sehr wahrscheinlich machen;

4) schließlich wird nicht berück­sichtigt, dass eine Ampel­schaltung möglich wäre, die sich auch an der grünen Welle orien­tiert und insofern kaum Einschrän­kungen für die große Mehrheit des Kfz-Durch­gangs­ver­kehrs bringen würde.

Zwar haben Behörden bei der Verkehrs­re­gelung einen weiten Ermessens- und Einschät­zungs­spielraum. Aller­dings müssen sie die Tatsa­chen­grundlage für ihre Entschei­dungen sorgfältig ermitteln und dürfen keine Wertungen treffen, die nicht rechts­konform sind. Den Fall betreut unser Partner Rechts­anwalt Dr. Olaf Dilling.

2022-12-20T09:57:17+01:0020. Dezember 2022|Allgemein, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Fahrrad­bügel gegen Falschparker

In den meisten Bundes­ländern wurden in den letzten Jahren neben den Pflichten zur Bereit­stellung von Kfz-Stell­plätzen pro Wohneinheit auch Regelungen über Stell­plätze oder Abstell­räume für Fahrräder und Kinder­wagen einge­führt. Eine entspre­chende Pflicht ergibt sich in Berlin für bestimmte Wohnge­bäude beispiels­weise aus § 48 Abs. 2 der Berliner Bauordnung (BauO Bln). Zudem sollen in Berlin nach § 49 Abs. 2 BauO Bln auch bei Errichtung von baulichen Anlagen, die Fahrrad­verkehr erwarten lassen, Abstell­plätze für Fahrräder in ausrei­chender Anzahl und Größe herge­stellt werden.

Der Bezirk Mitte von Berlin hat aktuell beschlossen, dass es nicht bei privaten Fahrrad­stell­plätzen bleiben soll. Vielmehr sollen insgesamt 50 Kreuzungs­be­reiche im Bezirk umgestaltet werden. Dabei sollen Fahrrad­bügel im Kreuzungs­be­reich aufge­stellt werden, dort, wo das Parken für Kfz innerhalb von 5 m bzw. 8 m Entfernung vor und hinter Kreuzungen und Einmün­dungen ohnehin verboten ist. Diese Maßnahme soll jedoch nicht nur Radfahrern zugute kommen. Vielmehr soll vor allem der Fußverkehr profi­tieren – und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht:

Der Gehweg wird von parkenden Fahrrädern entlastet, die Sicht­achsen an den Kreuzungen werden von parkenden Kfz freige­halten und idealer­weise auch Fahrbahn­ab­sen­kungen zum Überqueren der Fahrbahnen. Außerdem soll der Parkraum effizi­enter genutzt werden. Besonders angesichts des oftmals laxen Vollzugs der Regeln über das Halten und Parken verspricht die Maßnahme effektiv zu sein (Olaf Dilling).

2022-10-10T16:27:24+02:0010. Oktober 2022|Allgemein, Verkehr|

Verwal­tungs­ge­richt Bremen zur Ordnung des Fußverkehrs

 

Das Problem ist klar: Immer mehr und immer größere Kfz müssen sich in deutschen Städten den seit Jahren in etwa gleich bleibenden Platz teilen. Zugleich profi­tiert davon nur etwas über die Hälfte der Haushalte. Denn der andere Teil verzichtet inzwi­schen auf einen eigenen Pkw. Das Resultat ist zum einen, dass im Parkraum kaum noch Spiel­räume bestehen. Daher haben Liefer­verkehr, Pflege­dienste oder Handwerker kaum noch Möglich­keiten, flexibel vor Ort ihre Dienste zu verrichten. Zum andere drängen parkende Kfz in andere Bereiche des öffent­lichen Raums und parken z.B. rechts­widrig auf Gehwegen. Dadurch sind sie oft nur noch einge­schränkt nutzbar. Verfolgt und sanktio­niert wird das in vielen Städten kaum. Vielmehr hat sich vielerorts, jeden­falls unter Kfz-Haltern, eine Art „Konsens“ heraus­ge­bildet, dass dies schon seine Richtigkeit habe, denn „Wo soll man denn sonst parken?“.

SUV parkt auf Gehweg, so dass Passantin kaum noch vorbeikommt

In Bremen wurde dieser angeb­liche Konsens nun nachhaltig gestört. Durch eine Gruppe von Klägern aus mehreren Bremer Wohnstraßen, die auf ihr Recht pochen, die Gehwege auf vorge­sehene Weise, nämlich „per pedes“ zu benutzen. Und das auch in voller Breite oder – wie es in der Verwal­tungs­vor­schrift zur StVO heißt: „im ungehin­derten Begeg­nungs­verkehr“ auch mit Rollstühlen und Kinder­wagen. Oder um Kindern auf dem Weg zur Schule das Radfahren zu ermöglichen.

Geklagt haben sie nicht gegen die in Bußgeld­sachen untätige Polizei oder das Ordnungsamt. Das war insofern schlau, weil ähnliche Klagen bisher oft an dem sogenannten „Oppor­tu­ni­täts­prinzip“ im Ordnungs­wid­rig­kei­ten­recht gescheitert waren. Die für Bußgeld­ver­fahren zustän­digen Behörden haben bei Ordnungs­wid­rig­keiten anders als im Straf­recht einen Ermes­senspielraum. Denn die für die Verfolgung von Rechts­ver­stößen bereit­ste­henden Ressourcen sind knapp und ihr Einsatz muss priori­siert werden. Daher wandten sich die Kläger gleich an die Straßen­ver­kehrs­be­hörde. Diese solle geeignete Maßnahmen ergreifen, das syste­ma­tische Fasch­parken abzustellen.

Das VG hat den Kläge­rinnen und Klägern in einem sogenannten Beschei­dungs­urteil recht gegeben: Die Straßen­ver­kehr­be­hörde soll nun entlang der Rechts­auf­fassung des Gerichts nun prüfen, welche effek­tiven Maßnahmen dafür in Frage kommen. Grundlage für diese Entscheidung sind drei zentrale Erwägungen, die für freie Bürger­steige buchstäblich „bahnbre­chend“ werden könnten:

1) Neben Polizei- und Ordnungs­be­hörden ist auch die Straßen­ver­kehrs­be­hörde dafür zuständig, das syste­ma­tische Falsch­parken zu verfolgen. Außer dem Ausstellen von Bußgeld­be­scheiden kommen nämlich ein paar Möglich­keiten zusammen, für die die Straßen­ver­kehr­be­hörde zuständig ist: Zum Beispiel – neben der Polizei – für die Durch­setzung von Halte­ver­boten durch Abschleppen, für Auffor­de­rungen an die Fahrzeug­halter, ihre Kfz zu entfernen, gegebe­nen­falls für das Aufstellen von Verkehrs­zeichen oder ‑einrich­tungen.

2) Die Fußgänger haben ein subjek­tives, einklag­bares Recht, den Gehweg unbehindert zu nutzen. Dies eignet sich zugleich als Grundlage für Eingriffe der Behörden gegenüber den Falsch­parkern. Denn durch das Falsch­parken – so das VG – ist die Ordnung des Verkehrs gestört. Nicht nur die Ordnung des Kraft­fahr­zeug­ver­kehrs, wenn etwa Müllwagen oder Rettungs­fahr­zeuge nicht mehr durch die Straßen kommen. Sondern auch die Ordnung, genauer gesagt die Leich­tigkeit und Flüssigkeit, des Fußverkehrs.

3) Das Oppor­tu­ni­täts­prinzip und der grund­sätzlich bestehende Ermes­senspielraum der Straßen­ver­kehrs­be­hörde kann nicht dazu führen syste­ma­tische Regel­ver­stöße konse­quent zu ignorieren. Denn dies ist ein Ermes­sens­fehl­ge­brauch in Form des Ermes­sens­aus­falls, wie es auf Juris­ten­deutsch heißt. Mit anderen Worten die Verwaltung kann sich zwar in einzelnen Fällen dagegen entscheiden gegen Rechts­ver­stöße einzu­schreiten, aber sie darf sie nicht syste­ma­tisch dulden.

Die Entscheidung hat auch eine allge­meinere verfas­sungs­recht­liche Botschaft im Sinne von Rechts­staat­lichkeit und Demokratie: Für die Bundes­ge­setze und Verord­nungs­er­mäch­ti­gungen ist in der parla­men­ta­ri­schen Demokratie der Gesetz­geber zuständig. Es kann nicht an der Exekutive sein, geltendes Recht durch konse­quente Nicht­an­wendung zu unter­laufen (Olaf Dilling).

2022-02-23T20:26:23+01:0023. Februar 2022|Verkehr|