VwGO: BVerwG zur Klage­be­fugnis (BVerwG, Urt. v. 28.11.2019 – 7 C 2.18)

Erst kürzlich wollte die CDU das Klage­recht der Umwelt­ver­bände einschränken. Warum eigentlich, wird sich mancher gedacht haben. Wenn nicht die Verbände klagen, dann findet sich eben ein einzelner Nachbar, der die Autobahn, den Tagebau oder das Windrad so unerträglich findet, dass er dagegen zu Gericht zieht. Die brandneue Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts (BVerwG) vom 28.11.2019 (7 C 2.18) zeigt aber einmal mehr, wie wichtig (oder lästig) das Klage­recht der Verbände ist.

Worum geht’s? Eine Anwoh­nerin des Frank­furter Flughafens klagte gegen den Lärmak­ti­onsplan für denselben. Er wider­spreche der Umgebungs­lärm­richt­linie der EU (Richt­linie 2002/49/EG). Zudem hätte sie einen immis­si­ons­schutz­rechtlich begrün­deten Anspruch gem. § 47 Abs. 6 BImSchG gemäß § 47d Abs. 6 BImSchG auf einen ermes­sens­feh­ler­freien Luftaktionsplan.

Schon der VGH Kassel (9 C 873/15.T) sah die Klage indes nicht als zulässig an. Denn eine Klage ist nach § 42 Abs. 2 VwGO an sich nur zulässig, wenn der Kläger klage­befugt ist, was voraus­setzt, dass eine Norm verletzt sein könnte, die zumindest auch seinen Inter­essen dient. Eine solche Norm sah der VGH Kassel nicht. Die Regelungen dienten der Bestands­er­fassung, es handele sich eben nicht um Plange­neh­mi­gungen o. ä. Dem schloss sich das BVerwG nun an: Die Regelungen über Larmak­ti­ons­pläne sind nicht drittschützend.

Auf das Vorliegen von Dritt­schutz kommt es nicht an, wenn ein Umwelt­verband klagt. Dies führt der VGH Kassel in Rdnr. 46 seiner vom BVerwG bestä­tigten Entscheidung, wo es heisst:

Denn bei Erhebung einer Klage nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 UmwRG gegen eine der in § 1 UmwRG aufge­führten Entschei­dungen bzw. gegen den Erlass dort benannter Pläne wird auf das Erfor­dernis der Geltend­ma­chung einer Verletzung in eigenen Rechten nur bei nach § 2 Abs. 1 UmwRG anerkannten inlän­di­schen oder auslän­di­schen Verei­ni­gungen verzichtet.“

Mit anderen Worten: Betroffene können die Einhaltung von nicht dritt­schüt­zenden Normen nicht einklagen. Das können nur Umwelt­ver­bände. Klar, dass über ein so weitge­hendes Klage­recht nicht jeder begeistert ist. Auf natio­naler Ebene ist da aber wohl nichts zu machen: Die frühere Fassung des Umwelt­rechts­be­helfs­ge­setzes (UmwRG), die auch Umwelt­ver­bände auf die Durch­setzung dritt­schüt­zender Normen beschränkte, wurde vom EuGH als europa­rechts­widrig angesehen (EuGH, Urt. v. 12. Mai 2011, Rs.  C‑115/09). (Miriam Vollmer)

2019-12-02T20:18:02+01:002. Dezember 2019|Immissionsschutzrecht, Umwelt, Verwaltungsrecht|

Vollstre­ckung gegen Behörden: Schluss­an­träge des Generalanwalts

Wir erinnern uns: Die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) hat zahlreiche Urteile auf wirksame Maßnahmen gegen Überschrei­tungen von Schad­stoff­grenz­werten nach der Luftqua­li­täts­richt­linie erstritten. Unter anderem auch ein Urteil gegen den Freistaat Bayern betreffend den Luftrein­hal­teplan für die Stadt München (VG München, Urteil vom 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, bestätigt durch den VGH München am 27.02.2017). Die DUH will Diesel­fahr­verbote, Stadt und Land wollen die betrof­fenen Autofahrer nicht einschränken.

Bayern wehrt sich bis heute mit Händen und Füßen. Die DUH ließ mehrfach Zwangs­gelder festsetzen, aber die führten nicht zum angestrebten Erfolg. Zum einen sind die nach § 172 VwGO maximal festzu­set­zenden Zwangs­gelder von nur 10.000 EUR zu niedrig, um den politi­schen Ärger aufzu­wiegen. Zum anderen fließen die Zwangs­gelder in die Landes­kasse, so dass das wider­spenstige Land noch nicht einmal einen Nachteil hat.

Die DUH beantragte deswegen die Verhängung von Zwangshaft gegen den bayeri­schen Minis­ter­prä­si­denten Söder oder die Umwelt­mi­nis­terin. Problem an der Sache: Die VwGO sieht für die öffent­liche Hand dies an sich nicht vor. Behörden halten sich nämlich norma­ler­weise an rechts­kräftige Entschei­dungen der Gerichte. Aller­dings existiert eine Norm, die für Zwangs­mittel auf die ZPO verweist. Als Grundlage für eine Zwangshaft wäre über diese Überlei­tungsnorm an § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 888 ZPO zu denken. Alter­nativ könnte die eigentlich nur Zwangsgeld legiti­mie­rende Norm des § 172 VwGO bei europa­rechts­kon­former Auslegung auch noch effizi­entere Zwangs­mittel legitimieren.

Die Frage, ob diese Normen­kette zum Einsatz kommt, um Europa­recht durch­zu­setzen, wenn der Mitglied­staat sich weigert, legte der Bayerische VGH dem EuGH vor. Dieses Verfahren ist noch nicht beendet. Aller­dings hat gestern der General­anwalt Hendrik Saugmans­gaard OE seine Schluss­an­träge gestellt. Diese sind nicht verbindlich, aber in der Mehrzahl der Fälle urteilt der EuGH in diesem Sinne.

Der General­anwalt hat nun eine Empfehlung ausge­sprochen, die nur auf den ersten Blick für die öffent­liche Hand erfreulich ist. Er gesteht zu, dass freiheits­ent­zie­hende Maßnahmen nur dann ausge­sprochen werden können, wenn das nationale Recht dies „in klarer, vorher­seh­barer, zugäng­licher und willkürfreier Weise“ vorsieht. Weil das in Deutschland nicht der Fall ist, sondern der Normen­be­stand nur im Wege einer umwenigen Inter­pre­tation Zwangshaft erlaubt, schließen sich die Gefäng­nistore vorerst nicht hinter dem Minis­ter­prä­si­denten von Bayern. Begründet hat der General­anwalt dies nicht nur mit dem Grund­recht auf Freiheit der Betrof­fenen. Sondern auch mit der Unklarheit, wer denn überhaupt hiervon betroffen sei.

Die Entscheidung läuft aber nicht darauf hinaus, dass Urteile gegen die öffent­liche Hand damit leer laufen, wenn der Staat sich nicht an Urteile hält. Der General­anwalt weist nämlich darauf hin, dass es durchaus ein effek­tives Mittel gibt, Staaten zu zwingen, die sich nicht an Gemein­schafts­recht – wie eben die NEC-Richt­linie – halten: Das Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren. In dem bekanntlich die Gelder, die dem pflicht­widrig handelnden Mitglied­staat auferlegt werden, deutlich höher sind als 10.000 EUR (Miriam Vollmer)

2019-11-15T22:00:31+01:0015. November 2019|Umwelt, Verwaltungsrecht|

UVP: EuGH zur effek­tiven Öffentlichkeitsbeteiligung

Bei Vorha­ben­trägern sind Öffent­lich­keits­be­tei­li­gungen oft – wir übertrieben nicht – so beliebt wie Kopfläuse. Menschlich ist das verständlich: Man hat sich für ein Projekt entschieden, die Finan­zierung steht, da sind Inter­ven­tionen Dritter, die den Bau verzögern oder sogar ganz verhindern können, natürlich denkbar unwill­kommen. Das gilt nicht nur in Deutschland. Auch in anderen Mitglied­staaten stöhnen Vorha­ben­träger und Behörden unter den Vorgaben der UVP-Richt­linie, die bei vielen Geneh­mi­gungs­ver­fahren Betei­li­gungen der Öffent­lichkeit verbindlich vorschreibt.

In einem griechi­schen Fall hat der EuGH nun aktuell am 7. November 2019 einige auch über dieses Verfahren hinaus inter­es­sante Feststel­lungen zur Öffent­lich­keits­be­tei­li­gungs­pflicht nach Art. 6 Abs. 2 bis 5 der UVP-Richt­linie getroffen (C‑280/18): 

Auf der griechi­schen Insel Ios wollte ein Vorha­ben­träger ein Hotel errichten. Das Vorhaben erfor­derte eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung mit Öffent­lich­keits­be­tei­ligung. Da sich die Öffent­lichkeit natur­gemäß nur dann betei­ligen kann, wenn sie überhaupt von dem Vorhaben erfährt, wurde sie infor­miert. Der Haken an der Sache: Infor­miert wurde nicht auf Ios, wo das Hotel entstehen sollte. Sondern mit einem Aushang im 55 Seemeilen entfernten Styros und in der Lokal­zeitung von Styros. Auf Styros sollte auch die Konsul­tation selbst statt­finden. Dort ist nämlich die Geneh­mi­gungs­be­hörde ansässig.

Die Bewohner von Ios bekamen von dieser Infor­mation nichts mit. Sie erfuhren erst dann vom Vorhaben, als auf dem zuvor idylli­schen Eiland Bagger rollten. Als sie hiergegen vorgingen, wurde ihnen entge­gen­ge­halten, dass sie die zulässige Einwen­dungs­fristen verpasst hätten. Dies war formell auch zutreffend: Die Öffent­lich­keits­be­tei­ligung hatte im Sommer 2013 statt­ge­funden, genehmigt worden war 2014, und erst 2016 wurde geklagt. Im Vorla­ge­ver­fahren sollte der EuGH die Frage klären, ob hier wirklich Verfristung einge­treten sein kann.

Der EuGH verneinte diese Frage im Ergebnis. Er stellte zwar klar, dass es den Mitglied­staaten obliegt, wie sie über Öffent­lich­keits­be­tei­li­gungen infor­mieren. Er erinnerte aber daran, dass die Infor­mation effektiv sein muss. Hierzu führte er aus (Rdnr. 32):

die zustän­digen Behörden müssen sich verge­wissern, dass die verwen­deten Infor­ma­ti­ons­kanäle vernünf­ti­ger­weise als geeignet angesehen werden können, um die Mitglieder der betrof­fenen Öffent­lichkeit zu erreichen, so dass ihnen eine angemessene Möglichkeit gegeben ist, sich über geplante Tätig­keiten, das Entschei­dungs­ver­fahren und ihre frühzei­tigen Betei­li­gungs­mög­lich­keiten zu informieren.“

Da eine Infor­mation auf Styros kaum geeignet ist, die Bewohner von Ios zu infor­mieren, dürfte auch nach einer Aufar­beitung der Sachlage durch das griechische Gericht das Verspä­tungs­ar­gument hinfällig sein.

Was bedeutet das nun für die Praxis in Deutschland? Inseln sind hier zwar um Einiges seltener als in Griechenland. Aber die Geneh­mi­gungs­be­hörden müssen sich auch hier kritisch hinter­fragen, ob die Öffent­lichkeit wirklich erreicht wird, wenn sie infor­mieren, und auch die Termine selbst betei­li­gungs­freundlich organi­siert werden (Miriam Vollmer).

2019-11-10T22:57:46+01:0010. November 2019|Immissionsschutzrecht, Umwelt, Verwaltungsrecht|