StVO-Reform und VG Berlin: Doppelter Rückenwind für Kiezpoller
Aktuell gibt es aus Berlin starken rechtlichen Rückenwind für die dort sogenannten „Kiezblocks“, auch Superblocks (in Barcelona: „superilles“) genannt. Zum einen sind das zwei Gerichtsentscheidungen zu Pollern im Reuterkiez und in der Auguststraße, zum anderen die Reform der Straßenverkehrsordnung, die noch bessere Möglichkeiten bietet, und in den Gerichtsentscheidungen noch nicht richtig berücksichtigt werden konnte.

Modalfilter in Toronto: Keine Probleme mit der StVO (Foto: Olaf Dilling).
Die Gerichtsentscheidungen zeigen, dass Sperren für den Durchgangsverkehr je nach örtlichen Gegebenheiten, Unfallhäufigkeit und begleitenden Anordnungen bereits nach „altem“ Straßenverkehrsrecht möglich waren. Das soll hier nur kurz angerissen werden:
- In der ersten Entscheidung zum Reuterkiez ging es – ähnlich wie in Barcelona – um ein System von Einbahnstraßen, die an bestimmten Kreuzungen mit sogenannten Modalfiltern ausgestattet sind. Das sind Pollerreihen, die nur Fahrrad- und Fußverkehr ermöglichen, aber für Kfz unpassierbar sind.
Grundsätzlich gilt im Straßenverkehrsrecht für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs das Erfordernis einer qualifizierte Gefahrenlage gemäß § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erheblich über dem Durchschnitt (typischer Straßen) liegen muss.
Eine Ausnahme gilt gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO für ein Verkehrskonzept der Gemeinde zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung. Nach Auffassung des Bezirks lag ein solches Verkehrskonzept vor. Das Konzept muss aber tatsächlich von der Gemeinde beschlossen worden sein (nicht auf unselbständiger Bezirksebene, sondern in Berlin auf Ebene des Senats). Es muss außerdem so konkret sein, dass es von der Straßenverkehrsbehörde ohne Zwischenschritte umgesetzt werden kann.
Weil beides aus Sicht des Gerichts nicht zutraf, hat es die Planungen des Bezirks nicht als Verkehrskonzept nach § 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung anerkannt. Das hatte zur Folge, dass die Anforderungen an die in den Straßen vorliegende Gefahr gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 3 StVO erhöht waren.
Aber selbst diese qualifizierte Gefahrenlage lag nach Auffassung des Gerichts vor: Wegen der Verkehrszahlen und der Zusammensetzung des Verkehrs bestand eine qualifizierte Gefahr, die zu häufigen Unfällen geführt hat. Daher hat das Gericht in einem Eilbeschluss den vorläufigen Rechtsschutz der Kläger gegen die Poller zurückgewiesen.
D.h. der Fall Reuterkiez zeigt, dass es bei entsprechender Verkehrsdichte und Unfallwahrscheinlichkeit durchaus möglich ist, eine Modalsperre aufgrund einer qualifizierten Gefahr gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 3 StVO ‑dem straßenverkehrsrechtlichen Normalfall – zu errichten. - In der zweiten Entscheidung, einem Urteil des VG Berlin, sollte der Modalfilter dazu dienen, eine Fahrradstraße in der Tucholskystraße „flankierend“ zu begleiten. Da für die Einrichtung einer Fahrradstraße gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 StVO eine Ausnahme vom Erfordernis der qualifizierten Gefahr gilt, war – so wie schon in der Eilentscheidung des VG Berlin zum selben Fall – nur eine einfache Gefahr nachzuweisen.
D.h. Ausnahmeregelungen wie städtebauliche Verkehrskonzepte und Fahrradstraßen erleichtern es unter erleichterten Bedingungen, Modalsperren einzurichten, die der Verkehrssicherheit und der Erleichterung des Fahrrad- und Fußverkehrs dienen.
Die Verzahnung von nachhaltiger Stadtplanung und konkreter Regelung des Verkehrs ist seit der letzten Reform der StVO 2024 noch verbessert worden. Entscheidend ist insofern, dass inzwischen die Bereitstellung von angemessenen Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr unter erleichterten Bedingungen möglich ist. Hier dazu einige Stichpunkte:
- Zentral ist, dass durch die Reform die Einrichtung einer Sperre nicht mehr auf einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs begründet werden muss, sondern weitere Gründe, Umwelt- und Gesundheitsschutz und städtebauliche Entwicklung zulässig sind,
- dies setzt in der Regel ein Gesamtkonzept (das aber auch nur für bestimmte Verkehrsarten oder ein Stadtviertel gelten kann) voraus, in dem die zu erwartenden Effekte auf das Schutzgut (Umwelt, Gesundheit oder Stadtentwicklung) dargestellt werden. Typischerweise muss das Konzept insgesamt zu einer Verkehrsverlagerung vom Kfz auf den Umweltverbund führen, um sich etwa umwelt- oder gesundheitschützend auszuwirken.
- Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs spielen weiterhin eine Rolle, aber es geht nur darum, eine Verschlechterung der Verkehrssicherheit zu verhindern (z.B. durch Ausweichverkehre) und bezüglich der Leichtigkeit des Verkehrs abzuwägen. Die Leichtigkeit gilt für alle Verkehrsarten und wird in Bezug auf das Gesamtsystem des Verkehrs betrachtet: Einzelne Verkehrsarten müssen gegebenenfalls zurückstehen. D.h. Modalfilter beeinträchtigen zwar zweifellos die Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs, dies kann aber durch die Erleichterung von Rad- und Fußverkehr sowie die positiven Effekte für Umwelt, Gesundheit oder Stadtentwicklung (Aufenthaltsqualität) aufgewogen werden.
Alles in Allem dürfte es in Zukunft rechtlich sehr viel leichter sein, Kiezblocks zu konzipieren und Modalsperren anzuordnen und das auch mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts, das gegenüber straßenrechtlichen Lösungen, insbesondere der Teileinziehung von Straßenabschnitten, den Vorteil einer größeren Flexibilität und Bestimmtheit bietet. (Olaf Dilling)