Der aktuelle Blick in die USA zeigt: Sämtliche Rechts­pro­zesse, egal ob bei Vertrags­ver­hand­lungen, in der Verwaltung, vor Gericht oder bei der Gesetz­gebung, sind auf Rechts­fol­ge­be­reit­schaft angewiesen. Die Politik muss bereit sein, Recht notfalls gegen Wider­stände durch­zu­setzen. Mindestens ebenso wichtig ist die Bereit­schaft der Bevöl­kerung, sich ans Recht zu halten und seine Geltung anzuer­kennen. Entscheidend ist dafür nicht nur Zwang, sondern auch der Glaube an die grund­sätz­liche Legiti­mität der Rechtsordnung.

Das gilt auch und insbe­sondere im Straßen­verkehr. Die Erwartung, unter Beachtung von Verkehrs­regeln besser durch den Verkehr zu kommen, wird Menschen nicht in die Wiege gelegt. Vielmehr basiert sie auf System­ver­trauen, das idealer­weise in der Kindheit und Jugend angelegt wird und zeitlebens bestärkt wird, aber auch robust gegenüber Enttäu­schungen sein muss.

Kind von hinten auf Fahrrad mit Helm und Stützrädern.

(Jyotirmay Datta Chaudhuri auf Pixabay)

Ein wichtiger Faktor ist dabei die Schule. Wir kennen vielleicht noch die klassische Verkehrs­er­ziehung, die sehr auf Stärkung der Verkehrs­si­cherheit durch Verhal­tens­än­derung der Kinder angelegt war. Mit nur wenig Übertreibung sollten Kinder bunte Mützen und Reflek­toren tragen, stets aufmerksam sein, sich alle Verkehrs­regeln merken und sie immer einhalten. Für Kinder ist das eine Überfor­derung. Zudem ist das Bewusstsein gewachsen, dass es nicht primär Sache der Kinder sein soll, im Verkehr gut zu funktio­nieren, Acht zu geben und sich rücksichtsvoll zu verhalten.

Außerdem berück­sich­tigen heutige Lehrpläne, dass übermä­ßiger Verkehr auch mit Beein­träch­ti­gungen für die Umwelt und Gesundheit sowie die Lebens­qua­lität in Städten verbunden ist. Daher wurde die Verkehrs­er­ziehung durch Mobili­täts­er­ziehung ergänzt. Das verweist auf den Unter­schied zwischen Verkehr und Mobilität.

Während Verkehr die reali­sierte Ortsver­än­derung von Personen und Gütern ist, umfasst Mobilität auch Optionen und Verhal­tens­weisen. Sie betont indivi­duelle Motive, Hinter­gründe und Gewohn­heiten. Verkehr erscheint demnach als ein gesetztes, oft mit „techni­schen Sachzwängen“ verbun­denes soziales Geschehen, Mobilität bietet dagegen indivi­duelle und kollektive Gestal­tungs­op­tionen. Etwas polemisch zugespitzt ist „Verkehr“ ein eindi­men­sio­nales, betoniertes System, das als „Mobilität“ wieder plastisch und formbar wird.

Dies spiegelt sich in den entspre­chenden Empfeh­lungen der Kultus­mi­nis­ter­kon­ferenz wieder, die 1994 die Mobili­täts­er­ziehung mit aufge­nommen haben und 2012 zuletzt überar­beitet worden. So  finden sich in den Empfeh­lungen unter anderem folgende Lernziele und ‑inhalte:

  • zukunfts­fähige und selbständige Mobilität
  • Umwelt- und gesund­heits­be­wusstes Verhalten im Verkehr
  • Mitwirkung an der Verkehrsraumgestaltung

Außerdem gibt es konkrete Empfehlung für die Lehrpläne unter­schied­licher Alter­gruppen. Dazu gehört neben dem sicheren Schulweg und dem Umgang mit dem Kfz-Verkehr beispiels­weise auch:

  • Vorteile des Fußverkehrs
  • Radfahr­aus­bildung
  • ÖPNV und öffent­licher Fernverkehr
  • Mobilität und Sozialverhalten
  • Chancen und Risiken des Verkehrs
  • Entwicklung und Gestaltung des Verkehrs für eine zukunfts­fähige Mobilität

Im Summe geht es um aktive Aneignung, Teilhabe und Parti­zi­pation am Verkehr durch Kinder und Jugend­liche. Statt einem „Sich-Einfügen“ und Einlernen vorge­ge­bener Verhal­tens­regeln sollen schon früh eigene Optionen, Rechte und Betei­li­gungs­mög­lich­keiten aufge­zeigt werden. Es ist anzunehmen, dass Kindern die Verkehrs­regeln besser vermittelt werden können, wenn die Motivation nicht nur angst­ge­trieben ist, sondern wenn sie als Verkehrs­teil­nehmer mit eigener Berech­tigung ernst genommen werden.

Und last, but not least, gibt es nicht nur zwischen Verkehr und Mobilität einen Unter­schied, sondern auch zwischen Erziehung und Bildung: So vital und dynamisch wie sich der Verkehrs­sektor entwi­ckelt, dürfen wir auch nach der formalen Erziehung nie ganz aufhören uns weiter­zu­bilden. Dass alle die den Führer­schein mit 18 Jahren gemacht haben, meinen sie hätten ausge­lernt, ist eine Fehlvor­stellung. Lebens­lange Mobili­täts­bildung statt auf die Kindheit begrenzte Verkehrs­er­ziehung sollte daher die Aufgabe sein. Nicht nur für Schulen oder die Berufs­bildung, sondern für alle, die kompetent am Verkehr teilnehmen wollen. (Olaf Dilling)