Wenn Weniger mehr ist – VGH Mannheim zu den Grenzen des Bestandsschutzes

Wer kennt es nicht? Irgendwann wird jeder Schuppen, jedes Haus, jede Anlage baufällig und bedarf der Renovierung. Häufig ist dies Anstoß dafür, schon lange geplante Umbau- und Renovie­rungs­pro­jekte tatsächlich in die Tat umzusetzen. Sobald die Finan­zierung steht und ein Bauun­ter­nehmen gefunden ist, das die Renovierung ausführt, sollte man meinen, stünde der Reali­sierung der lang ersehnten Moder­ni­sierung eigentlich nichts mehr im Wege. Aber vorsichtig, denn wer zu viel ändert, kann unter Umständen alles verlieren.

Grund­sätzlich gilt im Baurecht der Grundsatz des (passiven) Bestands­schutzes. Das heißt, eine bauliche Anlage, die einst von der Behörde genehmigt wurde, gilt in diesem Umfang fortwährend als recht­mäßig, auch wenn sie tatsächlich nicht (mehr) baurechtlich zulässig ist. Dementspre­chend darf die Behörde nicht den Abriss einer solchen Anlage mit der Begründung anordnen, die Anlage sei nicht (mehr) baurechtlich zulässig. Die Anlage genießt insoweit Bestands­schutz. Dies gilt grund­sätzlich – auch wenn dies im Einzelnen umstritten ist – selbst dann, wenn die bauliche Anlage nie genehmigt wurde, aber für einen bestimmten Zeitraum den baurecht­lichen Anfor­de­rungen entsprach.

Der Bestands­schutz unterläge aller­dings einem natür­lichen Verfalls­datum, wenn die nicht mehr baurechtlich zulässige, aber Bestands­schutz genie­ßende Anlage nicht repariert und Instand gehalten werden dürfte. Daher sind auch sog. Instand­hal­tungs­maß­nahmen vom passiven Bestands­schutz umfasst. Die Grenze liegt aller­dings dort, wo Änderungen an der Anlage vorge­nommen werden oder es sich um eine Neuerrichtung handelt. Ein sog. aktiver Bestands­schutz, der auch die Möglichkeit von Moder­ni­sie­rungs- und Erwei­te­rungs­maß­nahmen umfasst, wird heute weitest­gehend einhellig abgelehnt. Wo genau liegt aber die Grenze zwischen einer vom Bestands­schutz noch geschützten Instand­hal­tungs­maß­nahme und einer nicht mehr geschützten Änderung? Genau mit dieser Abgren­zungs­frage hat sich der Verwal­tungs­ge­richtshof (VGH) Mannheim in seinem Urteil vom 19.5.2020 näher auseinandergesetzt.

Geklagt hatte der Eigen­tümer eines Grund­stücks, der einen zweistö­ckigen Schuppen an der Grenze seines Grund­stücks renovieren wollte. Das Dach des Schuppens sollte neu errichtet und auf einer Seite erhöht werden. Nachdem der Kläger bereits mit der Bautä­tigkeit begonnen hatte, ordnete die zuständige Behörde die Einstellung der Arbeiten an. Hiergegen sowie gegen die Ablehnung der von ihm daraufhin beantragten Bauge­neh­migung für die Renovierung seines Schuppens wehrte sich der Kläger erfolglos vor dem Verwal­tungs­ge­richt Karlsruhe. Der VGH Mannheim bestä­tigte die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts und sah die Einstel­lungs­ver­fügung der Behörde sowie die Ablehnung der Bauge­neh­migung als recht­mäßig an. Der Kläger muss nun nicht nur von der Fortsetzung seiner Renovie­rungs­maß­nahmen Abstand nehmen, sondern wohl vielmehr auch seinen renovierten „alten“ Schuppen abreißen.

Der VGH Mannheim begründete seine Entscheidung vor allem damit, dass das Vorhaben des Klägers gerade keine Instand­hal­tungs­maß­nahme mehr sei, sondern vielmehr eine teilweise Neuerrichtung. Auf Bestands­schutz könne sich der Kläger daher nicht berufen. Vielmehr sei eine neue Geneh­migung erfor­derlich, welcher jedoch die Nicht­ein­haltung der landes­recht­lichen Abstands­re­ge­lungen entgegenstehe.

Eine Instand­hal­tungs­maß­nahme, so der VGH Mannheim, läge vor, wenn die Maßnahmen der Erhaltung des bestim­mungs­ge­mäßen Gebrauchs einer Anlage oder ihrer baulichen Substanz dienen. Es müsse also gerade um die Besei­tigung der durch Abnutzung, Alterung oder Witte­rungs­ein­flüsse entstan­denen baulichen und sonstigen Mängel gehen. Die Identität der Anlage, d.h. ihr äußeres Erschei­nungsbild, sowie ihr Nutzungs­zweck dürften dabei nicht geändert werden. Keine Instand­hal­tungs­maß­nahme sei es, wenn die Baumaß­nahmen ihrer Qualität nach so intensiv seien, dass sie die Stand­fes­tigkeit der Anlage berühren, sodass eine statische Nachbe­rechnung der gesamten Anlage notwendig würde, oder wenn der Arbeits­aufwand seiner Quantität nach den für eine neue Anlage erreiche oder gar übersteige. Ein Auswechseln tragender Gebäu­de­teile könne im Einzelfall aller­dings durchaus noch eine Instand­hal­tungs­maß­nahme darstellen, denn auch solche Gebäu­de­teile seien dem Alterungs­prozess ausgesetzt.

Der Kläger durfte damit zwar auch im Rahmen des passiven Bestands­schutzes tragende Dachbalken austau­schen. Die Grenze zur Neuerrichtung war jedoch dadurch überschritten, dass der Kläger das Dach durch die Erhöhung insgesamt geändert hatte. Dass der Schuppen zuvor ähnlich gestaltet war, spielte dabei keine Rolle.

Ferner kam hinzu, dass der Umfang der Renovie­rungs­maß­nahme einem Neubau gleichkam. Denn der Kläger hatte nahezu das gesamte Stütz­kon­strukt ersetzt und aufgrund der schwe­reren Ausführung des Daches musste zudem eine Neube­rechnung der Statik vorge­nommen werden.

Wenn also die Renovierung einer bestehenden Anlage ansteht, sollte man bei umfang­rei­cheren Maßnahmen stets vorher prüfen, ob es sich noch um eine Instand­hal­tungs­maß­nahme handelt. Wird das äußere Erschei­nungsbild geändert oder kommen die Renovie­rungs­maß­nahmen von ihrem Umfang her einem Neubau gleich, so handelt es sich um eine nicht mehr vom Bestands­schutz umfasste Änderung, deren baurecht­liche Zuläs­sigkeit neu zu beurteilen ist. Bevor mit den Renovie­rungs­maß­nahmen begonnen wird, sollte dann geprüft werden, ob die geplante Änderung überhaupt baurechtlich zulässig ist. Ansonsten kann es passieren, dass allein aufgrund der Renovierung die gesamte Anlage abgerissen werden muss. In einem solchen Falle gilt daher: Weniger ist mehr (Fabius Wittmer)

2020-07-22T11:09:44+02:0022. Juli 2020|Verwaltungsrecht|

Verbands­klage gegen „zersie­delnde“ Schweinemast

Das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg hat in einer Entscheidung von Montag letzter Woche die Klage­rechte von Umwelt­ver­bänden gestärkt. Es ging in der Entscheidung um die Geneh­migung eines großen Schwei­ne­zucht- und Mastbe­triebs verbunden mit einer Biogas­anlage. Geklagt hatten Umwelt- und Tierschutzverbände.

Der Beklagte, der die Anlage genehmigt hatte, war der Auffassung, dass das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Potsdam zu Unrecht die Klage­be­fug­nisse der Umwelt­ver­bände angenommen hatte. Denn das VG hatte in seiner Entscheidung die Geneh­migung lediglich wegen eines Verstoßes gegen Baupla­nungs­recht für rechts­widrig erklärt und der Klage stattgegeben.

Demge­genüber hat der Beklagte geltend gemacht, dass es für die Verbands­kla­ge­be­fugnis nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG darauf ankomme, dass die verletzten Rechtsnorm Bezüge zum satzungs­ge­mäßen Aufga­ben­be­reich des Umwelt­ver­bandes aufweist. Dagegen hat das OVG es entspre­chend dem Wortlaut der Norm als ausrei­chend angesehen, wenn der Verband geltend macht, dass die von ihm angegriffene Entscheidung ihn in seinem satzungs­ge­mäßen Aufga­ben­be­reich berührt.

Als verletzt hatte das Verwal­tungs­ge­richt § 35 Abs. 2 und 3 Bauge­setzbuch (BauGB) angesehen. Entgegen der Ansicht des Beklagten war die Anlage nicht im unbeplanten Innen­be­reich nach § 34 BauGB geplant worden, da es sich bei der benach­barten Bebauung nicht um einen Ortsteil, sondern um eine Split­ter­siedlung handelt. Daher verstieß die Geneh­migung gegen öffent­liche Belange, weil sie gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB die Verfes­tigung oder Erwei­terung einer Split­ter­siedlung befürchten ließ. Selbst wenn keine weiteren natur­schutz­recht­lichen Bestim­mungen berührt gewesen wären, diene das Gebot zur Vermeidung von Split­ter­sied­lungen auch umwelt­po­li­ti­schen Zielen, etwa der Eindämmung von Bodenversiegelung.

Die Entscheidung ist angesichts des klaren Wortlauts und der umwelt­recht­lichen Relevanz des Baupla­nungs­rechts wenig überra­schend. Sie zeigt aber, dass der eher beunru­hi­gende Trend, Umwelt­ver­bänden entgegen den europa­recht­lichen Vorgaben Klage­rechte zu entziehen, zumindest bei der Recht­spre­chung nicht auf frucht­baren Boden trifft (Olaf Dilling).

 

2020-07-14T19:01:25+02:0014. Juli 2020|Umwelt, Verwaltungsrecht|

Einver­nehmlich Bauen ist machbar, Herr Nachbar!

Streit mit den Nachbarn gilt als Inbegriff klein­ka­rierter Spießigkeit. Kein Wunder, dass viele Menschen daher Konflikten großräumig aus dem Weg gehen wollen. Manchmal stellt aller­dings gerade das die nachbar­lichen Bezie­hungen auf eine Belas­tungs­probe. Denn wenn die Möglich­keiten für einen Austausch und eine Einigung frühzeitig genutzt werden, kann das später oft viel Konflikt­po­tential vermeiden.

Das geht oft bereits los mit der Bauplanung. Denn das Verfahren für die Aufstellung von Flächen­nut­zungs- und Bebau­ungs­plänen sieht in § 3 Abs. 1 Satz 1 Bauge­setzbuch (BauGB) eine frühzeitige Öffent­lich­keits­be­tei­ligung vor. Die Öffent­lichkeit, zu der nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BauGB übrigens auch Kinder und Jugend­liche zählen, soll über die Ziele, Zwecke, die Planungs­al­ter­na­tiven und die voraus­sicht­lichen Auswir­kungen der Planung infor­miert werden. Dafür müssen die Entwürfe der Bauleit­planung für eine festge­legte Dauer öffentlich ausgelegt werden. Die während dieser Frist abgege­benen Stellung­nahmen müssen geprüft und gegebe­nen­falls für die weitere Planung berück­sichtigt werden.

Wenn dann auf Grundlage des Bebau­ungs­plans oder im unbeplanten Innen­be­reich nach § 34 BauGB konkrete Baupro­jekte anstehen, kann wiederum die Betei­ligung der Nachbarn oder der Öffent­lichkeit erfor­derlich sein. Dies richtet sich nach den jewei­ligen Landes­bau­ord­nungen (LBO), in Berlin beispiels­weise nach § 70 BauO Bln. Vor der Entscheidung über die Zulassung von Abwei­chungen, Ausnahmen und Befrei­ungen muss die dafür zuständige Behörde benach­barte Eigen­tümer infor­mieren, wenn Auswir­kungen auf deren öffentlich-rechtlich geschützte Belange zu erwarten sind. Für Einwen­dungen durch die Nachbarn besteht dann eine Frist von zwei Monaten, nach deren Ablauf keine Einwen­dungen mehr möglich sind (sogenannte Präklusion).

Alter­nativ kann der Nachbar auch die Lage- und Baupläne unter­schreiben oder dem Bauvor­haben auf andere Weise zustimmen. Dies ist für die Bauenden eine probate Möglichkeit Rechts­si­cherheit herzu­stellen. Für die Nachbarn dagegen ist Vorsicht geboten: Zumindest sollte eine Bedenkzeit erbeten werden, um die Bauun­ter­lagen genau zu prüfen. Denn wenn die Zustimmung erst einmal erteilt wurde, bestehen kaum noch Einfluss­mög­lich­keiten auf das Bauvor­haben per Wider­spruch oder Klage. Nach der Recht­spre­chung ist dann auch ein Streit über Details, die aus den Plänen noch nicht ganz konkret hervor­gingen, oft präklu­diert. Im Zweifel hätte der Nachbar diese Fragen vor seiner Zustimmung klären sollen. So wurde es vom Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg im Fall eines aus Mikro­plastik bestehenden Belages eines Tennis­platzes gesehen, der einen benach­barten Schwei­ne­mast­be­trieb zu konta­mi­nieren droht.

In einem solchen Fall ist es daher sinnvoll, sich als Nachbar mit den Bauplänen an einen Anwalt zu wenden und die Folgen einer Zustimmung für die eigenen Rechts­po­si­tionen prüfen zu lassen (Olaf Dilling).

2020-06-11T14:38:59+02:0027. Mai 2020|Verwaltungsrecht|