Polen hat es nicht leicht. Historisch bedingt ist der Anteil von Kohlestrom an der nationalen Stromerzeugung hoch. Der Minderungsfahrplan der EU stellt Polen deswegen vor große Schwierigkeiten. Zum polnischen Plan der Dekarbonisierung gehört deshalb der Ausbau der Kernenergie: Polen plant ein Kernkraftwerk in Lubiatowo–Kopalino. Die Anlage soll mit 3.750 MW Leistung Kohlestrom verdrängen, der wegen des europäischen Emissionshandels wirtschaftlich absehbar nicht mehr mithalten kann.
Atomstrom steht im Ruf, preisgünstig zu sein, was – zumindest in Deutschland – möglicherweise auf dem Vergleich der Erzeugung durch die letzten kurz vor Stilllegung bereits abgeschriebenen Kernkraftwerke mit neuen Windparks beruht. Doch ähnlich wie bei den Erneuerbaren dominieren auch bei Kernkraftwerken die Kosten der Investition: Die Anlage in Lubiatowo–Kopalino ist schon heute vor Baubeginn mit 45 Milliarden Euro veranschlagt.
Diese Investition will Polen durch staatliche Beihilfen ermöglichen. 14 Milliarden Euro Eigenkapital sollen rund 30 % der Projektkosten abdecken. Staatsgarantien sollen die Finanzierung absichern. Das bedeutet: Sollte die Investition höher ausfallen als aktuell geplant, springt der polnische Steuerzahler ein. Das ist angesichts der Kostenexplosion bei anderen modernen Kernkraftwerken realistisch. So haben sich die inzwischen abgeschlossenen Projekte in Finnland und Frankreich während des Baus jeweils deutlich verteuert.
Doch nicht nur die Errichtung soll staatlich teilfinanziert und abgesichert werden. Polen plant über 60 Jahre Laufzeit den Abschluss eines „Contract for Difference“ (CfD). Das bedeutet, dass der Staat einen Preis garantiert und, wenn der Marktpreis unter dem Garantiepreis liegt, die Differenz übernimmt. Das polnische Industrieministerium nennt nach Quellen im Netz einen Preisrahmen von 112 bis 131 Euro pro MWh. Zum Vergleich: Wind onshore liegt per PPA derzeit bei ungefähr 75 Euro pro Megawattstunde.
Für den Betreiber sollte das Kernkraftwerk damit ein gutes Geschäft sein, für den Steuerzahler dagegen weniger. Indes genießt das Projekt in Polen hohe Zustimmung, sodass die langjährigen künftigen Mehrkosten offenbar von der Gesellschaft getragen werden. Nicht so zufrieden ist allerdings die Europäische Kommission, die bekanntlich für die Notifizierung von Beihilfen zuständig ist. Zwar räumt die Kommission ein, dass ohne das Beihilfepaket das Projekt wohl nicht realisiert würde. Jedoch will sie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit vertieft untersuchen. Offenbar vermutet sie Überförderung. Weiter prüft sie, ob durch die immensen Fördergelder der Wettbewerb im Strommarkt beeinträchtigt wird. Schließlich müssen andere Erzeugungsarten ohne eine vergleichbare Förderung auskommen.
Das Risiko für das polnische Projekt ist hoch: Wenn die Kommission die Beihilfe nicht genehmigt, kommt das Projekt möglicherweise nicht zustande und die Kohleblöcke laufen länger. Für den europäischen Klimaschutz wäre das ein großes Problem. Polen müsste seine Pläne von Grund auf ändern. Möglicherweise springt Westinghouse Bechtel ab. In jedem Fall tickt die Uhr: 2028 will Polen mit dem Bau beginnen. Zwischen 2036 und 2038 soll die schrittweise Inbetriebnahme stattfinden. Schaut man auf bisherige Projekte, ist dieser Zeitplan ohnehin ambitioniert (Miriam Vollmer).
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