„Das kann ja nicht sein“, meint der Mandant. Der Geschäftsführer der Contracting-Sparte eines süddeutschen Regionalversorgers versorgt seit vier Jahren eine bunt gemischte Nutzung aus Büro- und Ladenflächen, Wohnungen, einer Kita und ein bisschen Gastronomie in einem sanierten früheren Industriekomplex aus dem 19. Jh. mit Wärme und Strom aus einem BHKW und Aufdach-PV über eine eigene Leitungsstruktur, die bisher sehr eindeutig als Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG galt. Vorteil an diesem Status: Weil Kundenanlagen explizit keine Netze sind, fielen keine Netzentgelte an und auch keine Umlagen.
Doch nun macht der Mandant sich Sorgen: Mit Urteil vom 28.11.2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf eine Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) hin entschieden, dass die Regelung der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnG nicht europarechtskonform ist. Sie verstößt gegen die Strommarktrichtlinie 2019/944 (EltRL). Diese, so die Luxemburger Richter, erlaubt es den Mitgliedstaaten nicht, Energieanlagen zum Transport von Strom mindestens in Niederspannung einfach zu Nicht-Netzen zu erklären, wenn es keine ausdrückliche Ausnahmeregelung in der EltRL gibt. Eine solche Ausnahme gibt es für Kundenanlagen nicht, damit ist die Regelung nicht europarechtskonform.
Doch was wird nun aus dem Projekt in der alten Fabrik? Der Geschäftsführer fragt nach Bestandsschutz, doch da sind wir skeptisch. Eine Regelung, nach der es nur für die Zukunft keine neuen Kundenanlagen geben wird, aber die alten weiter von der Regulierung ausgenommen sind, dürfte nicht europarechtskonform sein. Und ein Rückgriff auf einen allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes in die Legalität der Kundenanlage ist auch nichts, für das jemand heute seine Hand ins Feuer legen würde: Der EuGH hat schon vor vielen Jahren entschieden, dass das Effektivitätsprinzip der EU sogar den Vertrauensschutz in seit Jahren bestandskräftige Verwaltungsakte überwiegt, die aufgehoben werden können, wenn sie europarechtswidrig sind (EuGH, 20.03.1997, Alcan Deutschland, – C‑24/95). Manchmal sind Behörden sogar verpflichtet, bestandskräftige unionsrechtswidrige Verwaltungentscheidungen erneut zu überprüfen (EuGH, 13.01.2004, Kühne & Heitz, – C‑453/00). Hier, wo es nicht einmal Bescheide gibt, die Bestandsschutz vermitteln könnten, ist das alles andere als eine sichere Bank.
Müssen nun also für Jahre Netzentgelt nacherhoben, Beträge an den vorgelagerten Netzbetreiber weitergereicht und auch noch Umlagen nachgezahlt werden? Ganz sicher ausschließen kann das derzeit wohl niemand. Erst recht aber für die Zukunft werden viele Kundenanlagenbetreiber alle Pflichten eines Netzbetreibers erfüllen müssen. Doch wie das genau aussehen wird, liegt nicht in der Hand der örtlichen Akteure. Hier muss der Gesetzgeber tätig werden, und wenn er für mehr als nur einige der bisherigen Kundenanlagenbetreiber einen Sonderstatus regeln will, geht dies nicht ohne die EU, wahrscheinlich nicht einmal ohne eine Änderung der EltRL. Dass der BGH, der im Mai entscheiden wird, hier für abschließende Klarheit sorgen wird, halten wir deswegen für eher unwahrscheinlich. Da muss wohl der Gesetzgeber in Berlin und Brüssel noch einmal nachsteuern. Bis dahin bestehen erhebliche Unsicherheiten, die neue Projekte erschweren, aber vor allem auch für bereits bestehende erhebliche Risiken begründen: Diese Sorge nimmt unserem Mandanten wie vielen anderen Unternehmen auch niemand ab (Miriam Vollmer).
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