Musterfeststellungsklage auf dem Prüfstand
Am 30. September diesen Jahres hat vor dem OLG Braunschweig die mündliche Verhandlung der Musterfeststellungsklage gegen VW begonnen. Dies ist eine gute Gelegenheit, zu schauen, wie dieses neue prozessuale Instrument sich in der Praxis bewährt. Die Erwartungen sind hoch: Immerhin haben 400.000 Verbraucher Ansprüche angemeldet und hoffen nun auf Schadensersatz. Allerdings hat ihnen das Gericht bereits am ersten Verhandlungstag einige Dämpfer verpasst.
Dies liegt zum Teil an inhaltlichen Fragen des aktuell verhandelten Falles. So hat das Gericht die Auffassung geäußert, dass vertragliche Ansprüche gegen VW überhaupt nur diejenigen Verbraucher geltend machen können, die den Wagen nicht bei Vertragshändlern oder gar als Gebrauchtwagen gekauft haben. Allerdings hält das Gericht Ansprüche aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung für möglich. Umstritten ist weiter, worin der Schaden liegt und wie hoch er am Ende ist. Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass auch drohende Fahrverbote einen Schaden darstellen können. Solange die Fahrverbote aber nur drohen, wird das Gericht nach einer ersten Auskunft des Vorsitzenden Richters Michael Neef wohl die fortlaufende Nutzung des Kfz anrechnen. Das heißt, dass sich der Schaden mit Zeitablauf stetig verringert.
Je mehr sich das Verfahren in die Länge zieht, desto geringer dürften die Ersatzansprüche daher schließlich ausfallen. Es ist zu vermuten, dass VW auf Zeit spielt und den Fall auch noch in eine weitere Instanz treiben wird. Vergleichsverhandlungen hat der Konzern jedenfalls abgelehnt. Wenn im Rahmen der Musterfeststellungsklage die Schadensersatzpflicht von VW schließlich rechtskräftig festgestellt wird, müssen die einzelnen Verbraucher dann ihr Geld ja immer noch selbst einklagen. Ob sich das dann noch lohnt, ist derzeit nicht abzusehen.
Diese Hinweise des Gerichts waren für die Verbraucher auch deshalb besonders wichtig, weil sie bis Endes des ersten Verhandlungstages sich noch abmelden konnten, um ihre Klage individuell durchzufechten. Diese scheinbar fruchtlose Anmeldung und Abmeldung bevor es richtig losgeht, könnte sich nach Auffassung des Richters Benedikt Windau und anderer Prozessrechtsexperten für manche Verbraucher dennoch gelohnt haben. Denn bereits durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage wird nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB die Verjährung der angemeldeten Ansprüche gehemmt. Dies nach Auffassung von Windau selbst dann, wenn ihr Anspruch vor Anmeldung zwischenzeitlich verjährt wäre.
Fazit: Die Musterfeststellungsklage bietet sicherlich noch einiges an Überraschungen, die der Gesetzgeber so vermutlich im Einzelnen nicht vorausgesehen hat. Wir halten Sie auf dem Laufenden, denn derartige Klagen sind nicht nur im Bereich Produkthaftung denkbar, sondern auch für andere Massengeschäfte gedacht, wie namentlich Energielieferverträge.