Treuhandverwaltung und Enteignung im neuen EnSiG
Sie erinnern sich: Vor vier Wochen wollte der russische Gazprom Konzern die Gazprom Germania erst an undurchsichtige Gesellschafter abtreten und dann liquidieren lassen (hierzu hier). Was dann aus den Infrastrukturen des Unternehmens geworden wäre, war unklar. Um nicht nur, aber auch die wichtigen Speicher zu sichern, setzte das Wirtschaftsministerium (BMWK) einen Treuhänder ein. Nun bedarf die öffentliche Hand stets einer Ermächtigungsgrundlage, wenn sie in Rechte Privater eingreift. Diese fand das BMWK in § 6 Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Doch ganz passgenau wirkt diese Rechtsgrundlage nicht. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass der Bund nun als Kapitel 2 der Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG), der morgen am 29. April 2022 im Bundestag beraten wird (hierzu schon hier), für Fälle wie diese zwei neue Maßnahmen erlauben will: Die Treuhandverwaltung für sechs Monate in § 17 EnSiG. Und die Enteignung in § 18 EnSiG.
Voraussetzung der Treuhandverwaltung ist die konkrete Gefahr, dass ein Unternehmen der kritischen Infrastruktur ansonsten seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienenden Aufgaben nicht mehr erfüllen kann und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Eine Beschränkung auf Situationen, in denen fremde Mächte nach deutscher Infrastruktur greifen, wohnt der Regelung nicht inne. Sie könnte also auch in Reaktion auf andere Bedrohungen der Versorgungssicherheit greifen. Eine Einschränkung gibt es immerhin: Juristische Personen des öffentlichen Rechts aus einem EU-Land sind außen vor. Die Treuhänderschaft kann bis zu sechs Monaten dauern, sechs weitere Monate kann verlängert werden. Erste und letzte Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).
Wenn eine zeitliche begrenzte Treuhänderschaft nicht reicht, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten, soll nach § 18 EnSiG sogar die Enteignung möglich sein. Hier reicht kein simpler Verwaltungsakt mehr, sondern eine Rechtsverordnung nach § 19 Abs. 1 EnSiG, die auch die Entschädigung regeln soll. Zuständig ist – wie auch für die Treuhänderschaft – das Wirtschaftsministerium. Bei Enteignung ist das Finanzministerium zu beteiligen. Auch hier entscheidet auf Antrag innerhalb von zwei Wochen nur das BVerwG.
Die Regelung ist auf Gazprom und die Raffinerie Schwedt zugeschnitten. Doch zumindest theoretisch denkbar sind durchaus weitere Fälle, auch wenn die hohen Anforderungen verhindern, dass der Staat Geschmack an solchen Maßnahme findet. Schließlich dürfte es nur selten dazu kommen, dass einzelne Unternehmen so eine Bedeutung besitzen, dass von ihnen die Energieversorgungssicherheit abhängt (Dr. Miriam Vollmer).