Tempo 30 – aber nicht flächendeckend?

Der neue Bundes­ver­kehrs­mi­nister scheint durchaus für Überra­schungen gut zu sein. Nachdem er noch vor seiner Verei­digung in der Presse als „Anwalt der Autofahrer“ apostro­phiert worden war, ergibt sich inzwi­schen ein etwas nuancier­teres Bild. Die Diskussion um den Verbren­nungs­motor zeigt, dass er offenbar bereit ist, die Heraus­for­de­rungen von Klima­schutz und Verkehrs­wende anzunehmen. Dies ist sicher ein wichtiges Signal für die deutsche Automo­bil­in­dustrie. Sie kann nun eher auf Ausbau der Ladeinfra­struktur hoffen und endlich auf E‑Mobilität setzen, als darauf, dass der Verbrenner durch Kaufprämien oder ähnliches so lange staatlich gestützt wird, bis er sich wie durch ein Wunder über ausrei­chend verfügbare Biokraft­stoffe nachhaltig betreiben lässt.

Aber auch was die Arbeits­teilung zwischen Bund und Kommunen im Straßen­ver­kehrs­recht angeht, sind nun Zwischentöne zu vernehmen, die durchaus Hoffnung auf größere Spiel­räume für die Verkehrs­wende machen. Bisher war eins der wichtigsten Hinder­nisse für Verkehrs­wen­de­pro­jekte auf Ebene der Gemeinden, dass die Straßen­ver­kehrs­ordnung bisher so restriktiv hinsichtlich der Beschränkung des Verkehrs ist. Denn letztlich dreht sich die gesamte Regelung des Verkehrs durch die zustän­digen Gemeinden um den Angel­punkt des § 45 StVO: Beschrän­kungen sind in der Regel nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs möglich. Nur wenn sie eigens in der Vorschrift aufge­listet sind, sind Ausnahmen zulässig. Und selbst wenn die genannten Gründe vorliegen, setzen Beschrän­kungen zumeist eine quali­fi­zierte Gefah­renlage voraus, die schwer zu begründen ist.

Den Kommunen war dieses enge Korsett des Straßen­ver­kehrs­recht seit langem hinderlich. Daher fordert der Städtetag schon seit Jahren eine Flexi­bi­li­sierung. Diese wird nun im Koali­ti­ons­vertrag versprochen. Denn die Regelung des Verkehrs nach der StVO soll für weitere Gründe, insbe­sondere Klima­schutz und Stadt­ent­wicklung, geöffnet werden. Damit soll auch der Forderung der Städte nachge­kommen werden, mehr und größere Tempo 30-Zonen einzurichten.

Auch hierzu hat der Bundes­ver­kehrs­mi­nister Stellung genommen. Durchaus im Sinne der Städte. Denn er gesteht ihnen zu, dass sie oft besser wissen, wo und wann ein Tempo­limit Sinn macht. Statt ideolo­gi­scher Prinzipen soll so mehr Flexi­bi­lität in die Regelung des Verkehrs kommen. Zugleich hat der Minister jedoch ein flächen­de­ckendes Tempo­limit bei 30 km/h in den Städten ausge­schlossen. Auch dies ist nachvoll­ziehbar. Denn es kann Vorteile haben, zwischen Durch­gangs- und Haupt­ver­kehrs­straßen einer­seits und Wohnstraßen anderer­seits zu diffe­ren­zieren, um Verkehrs­ströme sinnvoll zu lenken. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass mit der nun zu erwar­tenden Neure­gelung des Straßen­ver­kehrs­rechts einiges an Entschei­dungs­mög­lich­keiten und vermutlich auch ‑zwängen auf die Kommunen zukommt. Wir beraten Sie gerne dabei! (Olaf Dilling)

2022-01-17T23:32:40+01:0017. Januar 2022|Verkehr|

Flicken­teppich Tempo 30

Erinnern sie sich noch an die Diskussion über den Schil­derwald? Das war im Verkehrs­recht mal ein ganz heißes Thema. Um den Schil­derwald zu reduzieren, wurde im Jahr 1997 die StVO refor­miert. Eingefügt wurde in den ohnehin ausufernden Paragrafen 45 StVO der Absatz 9. Demnach muss jede verkehrs­recht­liche Anordnung, die den fließenden Verkehr einschränkt, ganz besonders aufwendig begründet werden.

Wenn zu Beispiel Tempo-30-Zonen einge­richtet werden sollen, muss nun aufgrund der örtlichen Gegeben­heiten eine Gefah­renlage bestehen, die erheblich über dem allge­meinen Risiko liegt. Was gar nicht so einfach zu begründen ist. Denn ein gewisses Risiko besteht im Straßen­verkehr ja fast überall. Aber es gibt von dieser Begrün­dungs­pflicht auch Ausnahmen. Zum Beispiel vor allge­mein­bil­denden Schulen, Kinder­gärten, Alten­heimen, Kranken­häusern usw. Überall dort darf unter erleich­terten Bedin­gungen Tempo 30 angeordnet werden.

Wenn nun an einer Straße in gewissen Abständen mehrere solcher Einrich­tungen liegen, ist es aber nicht etwa so, dass die gesamte Straße zur Tempo-30-Zone wird. Denn sagen wir mal, wenn irgend­jemand irgendwo zwischen Kinder­garten und Altenheim aber in ausrei­chender Entfernung zu beiden bei einer Geschwin­dig­keits­über­tretung erwischt wird. Dann könnte er gegen die Geschwin­dig­keits­be­grenzung klagen und würde vor dem Verwal­tungs­ge­richt voraus­sichtlich recht bekommen. Denn da wo er gefahren ist, war weder der Kinder­garten, noch das Altenheim in unmit­tel­barer Nähe.

Das hat zur Folge, dass die Geschwin­digkeit auf der Straße ständig von Tempo 30 zu Tempo 50 und wieder zurück wechselt. Das sorgt für ordentlich Benzin­ver­brauch, denn das ständige Abbremsen und Anfahren ist natürlich sehr ineffi­zient. Und wissen Sie wodurch die Tempo­wechsel immer wieder angekündigt wird? Ja, richtig: Verkehrsschilder.

Als Mittel, den Schil­derwald tatsächlich zu reduzieren, ist die Idee Beschrän­kungen des fließenden Verkehrs höhere Begrün­dungs­lasten aufzu­er­legen daher ziemlich erbärmlich gescheitert. Sinnvoller wäre es durch­zu­setzen, was jetzt immer wieder gefordert wird: Dass Tempo 30 innerorts zum einheit­lichen Geschwin­digkeit wird und nur auf den großen Durch­gangs­straßen Tempo 50 angeordnet wird. Das würde auch für mehr Trans­parenz bei den Autofahrern sorgen.

Leider ist das Bundes­ver­kehrs­mi­nis­terium bisher nicht von dieser Idee überzeugt. Unter anderem, weil Tempo 30 aufgrund der häufigen Tempo­wechsel angeblich für mehr Kraft­stoff­ver­brauch sorgen würde. Offenbar hält das BMVI die selbst verur­sachten Tempo­wechsel inzwi­schen für ein Natur­gesetz. Andere Insti­tu­tionen, etwa der Deutsche Städtetag und die Verkehr­mi­nis­ter­kon­ferenz der Länder halten dagegen: Zumindest sollte es nach Auffassung der Länder möglich sein, großzü­giger Lücken­schlüsse zwischen Tempo 30- Bereichen vor Schulen, Alten­heimen usw anzuordnen. Ein Teil des Flicken­tep­pichs ließe sich damit schon einmal verein­heit­lichen. Ein paar Städte, wie Freiburg, Bonn oder Konstanz wollen noch weiter gehen und überlegen, in einem Modell­versuch Tempo 30 als inner­städ­tische Regel­ge­schwin­digkeit einzu­führen. Bisher scheitert der Plan aller­dings noch an den recht­lichen Hürden (Olaf Dilling).

2021-04-20T22:27:31+02:0020. April 2021|Verkehr|