Vom Alex zum Funkturm (und wieder zurück)

Ich – tägliche Fahrrad­fah­rerin – habe mir im Berliner Stadt­verkehr einmal das Knie gebrochen. Mein Mann hat sich mal den Arm gebrochen, ein guter Freund das Schlüs­selbein. Wir sind alle schon mal von plötzlich aufge­ris­senen Autotüren vom Rad geholt worden, und alle paar Tage steht in der Zeitung, dass ein Auto, oft ein LKW, einen Radfahrer oder Fußgänger umgebracht hat. Lauter gute Gründe, nicht mit dem Rad in Berlin zu fahren, aber auf der anderen Seite ist man schneller als mit dem Auto. Und anders als in der S‑Bahn leidet man nicht am versa­genden Deodorant anderer Leute. Außerdem: Diese Stadt würde kolla­bieren, würden alle Leute mit dem Auto fahren. Für das Klima wäre das auch nicht gut. Konse­quenter Weise sollte man also unbedingt etwas dafür tun, dass mehr Berliner Rad fahren, und das wird natürlich nur dann eintreten, wenn Radfahren sicherer wird.

Für mehr Sicherheit für Radfahrer und eine insgesamt verbes­serte Mobilität für alle, die nicht im Auto sitzen, hat sich vor drei Jahren der „Volks­ent­scheid Fahrrad“ stark gemacht. Mehr als 100.000 Berliner hatten für eine mehr an den Bedürf­nissen von Radfahrern orien­tierten Verkehrs­po­litik unter­schrieben. Die derzeit regie­rende Koalition „r2g“, also SPD, Grüne und Linke, hatten in einem breiten Betei­li­gungs­ver­fahren ein Mobili­täts­gesetz versprochen, das die Inter­essen der Berliner Fahrrad­fahrer mehr in den Vorder­grund stellen sollte. Der nun mit Änderungen verab­schiedete Entwurf ist insofern ehrgeizig. Was aber steht nun genau in dem neuen Gesetz? Das Wichtigste in aller Kürze:

Radwege sollen künftig befestigt werden (§ 42). Bisher sind Radwege meistens nur mit einem Farbstreifen auf der Straße abgetrennt, so dass Falsch­parker sich gern („nur kurz Brötchen holen“) auf den Radweg stellen. Künftig soll zumindest an Haupt­straßen eine physische Barriere wie Poller für mehr Sicherheit sorgen.

Außerdem soll es künftig mehr Radwege, mehr Fahrrad­stell­plätze, mehr Erhal­tungs­maß­nahmen für Radwege und mehr exklusiv für den Radverkehr geöffnete Wege geben (§ 37 bis 47). Insbe­sondere die Stell­plätze sind ein großes Plus: Der Fahrrad­dieb­stahl ist ein echtes Problem, das nicht wenige Berliner davon abhält, das Rad zu nehmen, insbe­sondere, wenn es über Nacht irgendwo stehen bleiben soll. Zudem ist auch der Umbau gefähr­licher Kreuzungen eine sinnvolle Maßnahme, denn die unzurei­chende Abbie­ge­si­tuation kostet jedes Jahr einige Radfahrer das Leben.

Doch auch die Nutzer des ÖPNV sollen profi­tieren. Bus und Bahn sollen durch weitere Vorrangstrecken (Fahrbahnen nur für sie) schneller und damit attrak­tiver werden, § 32. Halte­stellen sollen sicherer werden, § 30. Und: Künftig darf die BVG Autos, die auf ihren Straßen­bahn­schienen parken – das kommt erstaunlich häufig vor – selbst abschleppen.

Für mich als Schön­wet­ter­rad­lerin und Schlecht­wetter-S-Bahnfah­rerin ist in diesem Gesetz also Einiges dabei. Was aller­dings auffällt: Sowohl Autofahrer als auch Fußgänger werden in dem neuen Gesetz nicht bedacht. Aber ist urbane Mobilität ohne Auto und Fußgänger denkbar? Natürlich, von einer Verla­gerung von Verkehr auf die neuen, sicheren Radwege würden beide Gruppen profi­tieren. Fußgänger müssten nicht mehr fürchten, von Radfahrern angefahren zu werden, die wegen der unsicheren Situation auf der Straße auf den Bürger­steig ausweichen. Und wenn mehr Berliner aufs Rad umsteigen, verbessert sich die Situation derje­nigen, die auf das Auto angewiesen sind. Aber ist eine rein reflex­hafte Verbes­serung der Lage von Autofahren und Fußgängern wirklich das Ende der Fahnen­stange? Eine Fortent­wicklung des Gesetzes würde verbes­serte Konzepte für dieje­nigen bieten, die verschiedene Fortbe­we­gungs­mittel kombi­nieren, also zB mit einem Carsharing-Wagen vom Vorort in die Stadt fahren, dann mit einem Leihrad in einen anderen Kiez und schließlich mit der Bahn zurück. Wie wäre es mit einer einheit­lichen Abrechungs­plattform für alle Mobili­täts­dienst­leis­tungen? Mit Mobili­täts­konten, die die Entlastung von Straßen honorieren? Mit intel­li­genten Lösungen für den letzten Kilometer zwischen S‑Bahnstation und Einfa­mi­li­enhaus im Vorort? Mit besseren Parkkon­zepten? Wie werden die Carsha­ring­wagen, Leih-Vespas und ‑Räder in urbane Mobilität sinnvoll eingebunden?

Hier ist noch Luft nach oben, auch wenn das Gesetz auf jeden Fall einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zu verbes­serter, klima- wie nerven­scho­nender und sicherer Mobilität darstellt.