Alarm für den Diesel‑6: Das EuG streicht den Berichtigungskoeffizienten
Die schlechten Nachrichten für den Dieselfahrer reißen nicht ab: Das Gericht der Europäischen Union (EuG), erstinstanzlich zuständig für Nichtigkeitsklagen, die nicht von einem privilegierten Kläger eingelegt werden, hat nun kurz vor Weihnachten Entscheidungen über Klagen der Städte Paris, Brüssel und Madrid gefällt. Diese Entscheidungen haben es in sich, weil sie neue Diesel der Euro-6-Kategorie betreffen.
Zunächst zum normativen Hintergrund: Das Ungemach deutscher Dieselfahrer mit Fahrverboten beruht auf der schlechten Luftqualität in Innenstädten. Hier gilt nämlich die 39. BImSchV. Es gibt aber nicht nur solche qualitätsbezogene Vorschriften. Sondern auch emissionsbezogene Regelungen für das, was aus dem Auspuff eines Kraftfahrzeugs kommen darf. Um diese geht es hier, und zwar in Gestalt der Emissionsgrenzwerte für Stickoxide. Diese Grenzwerte stehen in der Verordnung (EG) Nummer 715/2007.
Bekanntlich werden diese Grenzwerte von vielen Dieselfahrzeugen nur auf dem Prüfstand, aber nicht im Realbetrieb auf der Straße eingehalten, weil die Hersteller eine Manipulationssoftware verwenden, die sich auf der Straße abschaltet. Das soll in Zukunft natürlich nicht mehr möglich sein. Deswegen erließ die europäische Kommission eine Verordnung (2016/646), die ein Verfahren vorgab, wie genau die Emissionen von Kraftfahrzeugen ermittelt werden sollen, die sogenannte RDE-Verordnung. Aber um zu verhindern, dass in Anwendung dieses Verfahrens mit einem Schlag lauter neue Diesel‑6 ihre Typenzulassung verlieren und ihre Halter ohne Fahrzeug dastehen, enthält die RDE-Verordnung Berichtigungskoeffizienten, also Faktoren, mit denen die eigentlich anwendbaren Grenzwerte multipliziert werden. Diese werden also drastisch überschritten, aber die realen Emissionen in einem zweiten Schritt kleingerechnet. Wir sprechen hier nicht über wenige Milligramm, sondern um teilweise das Doppelte.
Die Städte Paris, Brüssel und Madrid zogen gegen diesen Grenzwertrabatt vor Gericht. Die europäische Kommission hielt die Klagen zwar für unzulässig, weil die Städte nicht unmittelbar betroffen seien. Das EuG sah dies aber anders, denn die Städte seien in ihren Regulierungsbefugnissen eingeschränkt. Alle drei Städte haben nämlich bereits Maßnahmen zur Luftverbesserung erlassen, auf die sich die Erhöhung der Grenzwerte durch Berichtigung wesentlich auswirkt.
Auch im Hinblick auf die Begründetheit der Klagen setzten die Städte sich durch. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die Grenzwerte nicht durch Berichtigung hätten abgeändert werden dürfen. Die Kommission hat also ihre Befugnisse überschritten. Nach Ansicht des Gerichts müssen dann, wenn es Unschärfen gibt, die Grenzwerte in der Verordnung Nummer 715/2007 korrigiert werden. Eine nachträgliche Regelung durch die Kommission, in der passend gemacht wird, was nicht passt, darf es nicht geben.
Immerhin kostet diese Entscheidung die Halter der betroffenen Diesel-6-Kraftfahrzeuge nicht gleich morgen ihre Typenzulassung. Das Gericht räumt zwölf Monate Umsetzungsfrist ab Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass in einer sowohl politisch als auch rechtlich nicht unkomplizierten Frage das Rechtsmittel zum europäischen Gerichtshof (EuGH) eingelegt werden wird. Angesichts der auch rechtlich überzeugenden Argumentation des EuG müssen die betroffenen Fahrer aber wohl damit rechnen, dass auch die zweite Instanz zum Ergebnis kommen könnte, dass die goldene Brücke für ihre Typenzulassung im Ernstfall nicht hält.