Jetzt auch Landge­richt Berlin: Erdgas­bindung kein ausrei­chendes Markt­element in Wärmelieferungsverträgen

Wir hatten hier bereits vor kurzem über die aktuelle Entscheidung des Landge­richts Frankfurt/Main berichtet, wonach eine Preis­än­de­rungs­klausel in einem Wärme­lie­fe­rungs­vertrag gegen die gesetz­lichen Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV verstößt, wenn der Wärme­ver­sorger zur Abbildung der Verhält­nisse auf dem Wärme­markt (Markt­element) allein auf die Bindung an einen Erdgas­index abstellt.

Zum gleichen Ergebnis ist nun auch das Landge­richt Berlin in einer von uns erstrit­tenen Entscheidung vom 26.09.2025, Az. 19 O 270/24 gelangt. Das Landge­richt Berlin führt dort aus:

Die Preis­an­pas­sungs­klausel wird den Anfor­de­rungen an das Markt­element nicht gerecht und ist daher gem. § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFern­wärmeV unwirksam. Die Klausel berück­sichtigt hierbei nur den Markt­preis für Erdgas und nicht den gesamten Wärme­markt. Mit dieser fernwär­me­recht­lichen Beson­derheit wollte der Verord­nungs­geber angesichts der häufig monopol­ar­tigen Stellung von Versor­gungs­un­ter­nehmen gegenüber einer rein kosten­ori­en­tierten Preis­an­passung (wie etwa nach § 24 Abs. 3 Satz 1 AVBWasserV) gewähr­leisten, dass Versorger durch Anpas­sungen des Wärme­preises nicht beliebig ihre Kosten weiter­reichen können, sondern sich aufgrund der Einbe­ziehung der Verhält­nisse am Wärme­markt – womit der allge­meine, das heißt der sich auch auf andere Energie­träger erstre­ckende Wärme­markt gemeint ist  – dem Vergleich mit anderen Energie­an­bietern stellen müssen und so einen Anreiz haben, die Wärme­ver­sorgung effizient zu gestalten.“

Weiterhin betont das Landge­richt Berlin das Erfor­dernis der Diver­sität beim Marktelement:

Da dieses Merkmal der Diver­sität der Energie­träger somit der zentrale Faktor für die Beurteilung des Markt­ele­ments ist, kommt es nicht darauf an, ob die von der Beklagten gewählte Referenz auf den Preis für Erdgas auf den markt­be­stim­menden und somit unter diesem Gesichts­punkt mögli­cher­weise markt­re­prä­sen­ta­tiven Energie­träger abstellt. Die Markt­re­ferenz der Beklagten hätte für die Anpassung des Arbeits­preises zumindest eine Vielzahl an Energie­trägern einbe­ziehen müssen, um ein mit § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFern­wärmeV verein­bares Markt­element darzu­stellen. Der Rückgriff auf den Mittelwert für Gas-Future-Preise nach dem EEX wird dem nicht gerecht.“

Eine reine Erdgas­bindung wurde in der Vergan­genheit in vielen Wärme­lie­fe­rungs­ver­trägen als vermeint­liches Markt­element verwendet. Man berief sich dafür auf eine angeb­liche Markfüh­rer­schaft von Erdgas. Dieser Auffassung haben mit LG Frankfurt und LG Berlin nunmehr in kurzer Zeit bereits zwei deutsche Gerichte widersprochen.

Beide Entschei­dungen sind noch nicht rechtskräftig.

(Christian Dümke)

2025-10-02T12:04:24+02:002. Oktober 2025|Allgemein|

Monito­ring­be­richt Energie­wende: Stand der Versorgungssicherheit

Der Monito­ring­be­richt Energie­wende befasst sich auch mit der Frage der künftigen Versor­gungs­si­cherheit und beschreibt hier heraus­for­de­rungen und Handlungsbedarf.

Die zukünftige Versor­gungs­si­cherheit im deutschen und europäi­schen Strom­system ist laut Monito­ring­be­richt mit erheb­lichen Unsicher­heiten verbunden. Entscheidend sind dabei vor allem die Entwicklung der Nachfrage, der Ausbau steuer­barer Kraft­werks­ka­pa­zi­täten sowie die Verfüg­barkeit von Flexi­bi­li­täts­op­tionen wie Speicher oder Lastmanagement.

Zur Bewertung der Lage dienen dem Monito­ring­be­richt vor allem zwei Studien: Das European Resource Adequacy Assessment (ERAA) der europäi­schen Übertra­gungs­netz­be­treiber und das Versor­gungs­si­cher­heits­mo­ni­toring (VSM) der Bundes­netz­agentur. Beide Berichte bilden die Grundlage für mögliche politische Entschei­dungen wie die Einführung eines Kapazitätsmechanismus.

Das ERAA 2024 zeigt, dass zumindest das angestrebte Niveau der Versor­gungs­si­cherheit in allen unter­suchten Jahren verfehlt wird. Im VSM 2025 tritt dieses Defizit nur im Szenario „Verstärkte Energie­wende“ für das Jahr 2030 auf. Wie groß der tatsäch­liche Bedarf an neuen Kraft­werken ist, hängt jedoch stark von den getrof­fenen Annahmen ab – etwa ob ein ausrei­chender Zubau an Gaskraft­werken ohne staat­liche Eingriffe wirklich über den Markt erfolgt. Angesichts politi­scher und regula­to­ri­scher Unsicher­heiten erscheint dies zweifelhaft, weshalb politi­scher Handlungs­bedarf besteht.

Für das Jahr 2035 wird ein noch höherer Zubau­bedarf erwartet als für 2030. Gründe hierfür sind ein deutlicher Anstieg des Strom­ver­brauchs, zusätz­liche markt­be­dingte Still­le­gungen von Kohle­kraft­werken und optimis­tische Annahmen zum Beitrag nachfra­ge­sei­tiger Flexibilität.

Die Versor­gungs­si­cherheit über das Stromnetz gilt bis 2027/28 dank der Netzre­serve als gewähr­leistet. Danach fehlen belastbare Analysen. Künftige Bewer­tungen müssen Faktoren wie Netzausbau, verfügbare Kraft­werke für Redis­patch und weitere System­ent­wick­lungen berücksichtigen.

Für die System­sta­bi­lität gibt es mit der Roadmap System­sta­bi­lität einen struk­tu­rierten Prozess, an dem viele Akteure beteiligt sind. Ein beglei­tender System­sta­bi­li­täts­be­richt zeigt regel­mäßig auf, welche Maßnahmen nötig sind, um ein stabiles Netz auch bei 100 % erneu­er­baren Energien sicher­zu­stellen. Aktuell besteht Handlungs­bedarf insbe­sondere bei der Deckung von Momen­t­an­re­serve- und Blind­leis­tungs­be­darfen sowie beim Einsatz netzbil­dender Stromumrichter.

Die Energie­ver­sorgung der Zukunft ist damit zwar grund­sätzlich darstellbar, erfordert jedoch erheb­liche politische, regula­to­rische und technische Anstren­gungen. Kurzfristig erscheint die Lage stabil, langfristig jedoch unsicher. Entscheidend wird sein, recht­zeitig die richtigen Rahmen­be­din­gungen zu setzen, damit neue Kapazi­täten entstehen, die Nachfrage gedeckt wird und das Strom­system auch in einer vollständig erneu­er­baren Zukunft stabil bleibt.

(Christian Dümke)

2025-09-26T12:18:15+02:0026. September 2025|Allgemein|

Wohlstand vor Klima? Wieso der Bund nicht auf die Bremse treten darf

Die deutsche Wirtschaft kränkelt, und da würde mancher gern beim Klima­schutz auf die Bremse treten. Auch wenn alle Akteure bekräf­tigen, dass das Ziel, 2045 (oder doch 2050??) nettonull zu emittieren, nicht in Frage steht, so wird Klima­schutz doch derzeit deutlich deprio­ri­siert. Für Unter­nehmen, die sich auf den bishe­rigen Zielpfad einge­stellt haben, bedeutet das eine neue Unsicherheit, mancher andere dagegen fragt sich, ob Inves­ti­tionen verschoben werden könnten. Doch wie frei ist Deutschland eigentlich, die Klima­ge­setze der Ampel wieder rückgängig zu machen, oder zumindest das Ziel von 65% Minderung bis 2030 zeitlich ein bisschen zu strecken?

Die je nach Stand­punkt erleich­ternde oder ärger­liche Antwort lautet: kaum. Denn Art. 20a des Grund­ge­setzes verpflichtet den Staat, die natür­lichen Lebens­grund­lagen zu schützen – ausdrücklich auch im Interesse künftiger Genera­tionen. Aus dieser Norm haben Verfas­sungs­rechtler ein auf das Grund­gesetz gestütztes Verschlech­te­rungs­verbot abgeleitet: Ein einmal erreichtes Schutz­niveau darf nicht ohne zwingenden Grund abgesenkt werden. Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat zudem in seinem Klima­be­schluss  2021 klarge­stellt, dass Klima­schutz eine Schutz­pflicht des Staates ist. Belas­tungen dürfen nicht einfach in die Zukunft verschoben werden, weil dies die Freiheits­rechte der kommenden Genera­tionen übermäßig einschränken würde.

Auch das europäische Recht gibt wenig Anlass zu der Hoffnung, man könnte den Ausbau der Erneu­er­baren und den Umbau der bisher fossilen Infra­struktur schlicht verschieben. Das EU-Klima­gesetz verpflichtet alle Mitglied­staaten, bis 2050 klima­neutral zu werden, und bis 2030 auf 55% zu reduzieren. Wird dieses Ziel verfehlt, rückt Klima­neu­tra­lität in weite Ferne. Zudem geben auch die Einzelakte der EU zum Teil ausge­sprochen detail­liert vor, wie und bis wann die Mitglied­staaten mindern müssen. Mit der Erneu­erbare-Energien-Richt­linie (RED III) ist bis 2030 ein Anteil von mindestens 42,5 % erneu­er­barer Energien am Endener­gie­ver­brauch vorge­schrieben, und die Gebäu­de­richt­linie (EPBD) zwingt die Mitglied­staaten zu drasti­schen Verbes­se­rungen der Energie­ef­fi­zienz im Gebäu­de­sektor. Auch der EU Emissi­ons­handel, der ab 2027 auch für Erdgas, Heizöl, Benzin oder Diesel gilt, steht nicht zur zeitlichen Dispo­sition der Mitgliedstaaten.

Zwar bietet das EU-Recht Flexi­bi­li­täts­me­cha­nismen wie den Handel mit Emissi­ons­zu­wei­sungen im Effort-Sharing-System oder statis­tische Transfers bei Erneu­er­baren. Doch diese haben nicht nur enge Grenzen, sie sind auch teuer: Schon heute warnt das Umwelt­bun­desamt, dass Deutschland bei Zielver­fehlung auf Milli­ar­den­kosten für Zukäufe zusteuern könnte. Hinzu kommen die Risiken von Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren durch die EU-Kommission und mögliche Verfas­sungs­be­schwerden im Inland.

Klima­schutz ist also nicht einfach ein politi­sches Projekt, das man nach Belieben beschleu­nigen oder bremsen kann. Er ist eine recht­liche Verpflichtung, doppelt abgesi­chert durch Grund­gesetz und Europa­recht. Wer beim Klima­schutz bremst, riskiert damit eine lange Verun­si­cherung des Marktes, die in Nieder­lagen vor Gericht enden können, und dazu hohe Zahlungen für Zukäufe, die am Ende der deutschen Trans­for­mation fehlen: Eine Vitamin­spritze für den deutschen Patienten sieht anders aus (Miriam Vollmer).

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2025-09-19T17:00:09+02:0019. September 2025|Allgemein|