Hupende Traktoren, gläserne Bienen?
Das Erliegen des gesamten öffentlichen Lebens ist in Berlin besonders trostlos, wenn in regelmäßigen Abständen im Regierungsviertel Demonstrationen von Coronaleugnern oder von Landwirten stattfinden. Denn wenn wir in der Stadt zur Zeit unterwegs sind, dann in den seltensten Fällen zum Vergnügen. Da ist es dann manchmal, bei allem Respekt vor der Demonstrationsfreiheit, ein unfreiwilliger Halt besonders unangenehm oder gar die Gefahr, in unkontrollierbaren Menschenmengen angesteckt zu werden.
Wobei bei den Demonstrationen der Landwirte immerhin keine massenhaften Infektionen zu befürchten sind. Denn die Landwirte halten, allein durch die Größe ihrer Fahrzeuge bedingt, jeweils gehörigen Abstand, wenn sie hupend mit Traktoren durch die Stadt fahren, Banner mit sich führend, auf denen Sprüche stehen wie „Maisfelder binden mehr CO2 als Wälder!“ Wenn der Kohlenstoff vom Maisacker nur auch so lange wie im Wald gebunden bliebe. Aber er wird sehr bald wieder von Mastschweinen und von Schnitzel essenden Konsumenten verstoffwechselt.
Grund zum Demonstrieren haben die Bauern zur Zeit offenbar immer. Nachdem es eine ganze Weile primär um die Düngeverordnung und um den Preisdruck ging, demonstrieren sie nun auch gegen Maßnahmen zum Insektenschutz. Denn die Bundesregierung hat in dieser Tage hierzu einen Gesetzes- und Verordnungsentwurf auf den Weg gebracht. Nun könnte man denken, auch Bauern haben ein Interesse an Insekten. Schließlich sähe es beispielsweise mit der Apfelernte schlecht aus, wenn es keine Bienen mehr gäbe. Das Branchenmagazin „agrarheute“ sieht es offenbar leidenschaftslos und berichtete schon vor geraumer Zeit von Forschungen über Bestäubungsdrohnen, die Bienen ersetzen könnten. Bisher stehen aber noch wirklich erfolgreiche Feldversuche aus.
Insofern vielleicht gar nicht schlecht, dass die Bundesregierung – letztlich auch zum Wohl der Landwirtschaft – die Insekten mit einem Paket von Maßnahmen retten will:
Dem Entwurf des neuen Insektenschutzgesetzes entsprechend sollen mehr Biotope als bisher unter Schutz gestellt werden: Auch artenreiches Grünland, Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern können in Zukunft als wichtige Lebensräume auch gesetzlich geschützt werden.
Weiterhin soll durch das Gesetz die Lichtverschmutzung zunächst in Naturschutzgebieten und Nationalparks eingedämmt werden. Auch die Nutzung von Himmelstrahlern und Insektenvernichterlampen außerhalb geschlossener Räume soll stark eingeschränkt werden. Insofern können die Landwirte auch nicht mit Recht behaupten, dass Gründe des Insektensterbens, die nicht in ihrer Verantwortung liegen, nicht adressiert würden.
Weiterhin soll die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung geändert werden, um drei weitere wesentliche Inhalte des Aktionsprogramms Insektenschutz von 2019 umzusetzen:
# Erstens soll die Anwendung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln zum Ablauf des Jahres 2023 beendet werden. Bis zu diesem „Komplettausstieg“ gelten neue deutliche Einschränkungen des Einsatzes solcher Totalherbizide.
# Zweitens wird in ökologisch besonders schutzbedürftigen Gebieten die Anwendung von Herbiziden und solchen Insektiziden, die Bienen und Bestäuber gefährden, verboten werden. Ergänzt wird dies durch auf Landesebene entwickelte kooperative Konzepte, die die Landwirte für den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel belohnen sollen.
# Drittens gilt ein neuer Mindestabstand zu Gewässern für sämtliche Pflanzenschutzmittel.
Insofern gibt es doch Hoffnung, dass die Dystopie gläserner Bienen nicht so bald Wirklichkeit wird (Olaf Dilling).