Rettung über den Radfahrstreifen
Radfahrstreifen und andere Maßnahmen der Verkehrswende haben zunehmend schlechte Presse, da sie angeblich die Rettungssicherheit, Polizei und Feuerwehr beeinträchtigen würden. Ist das tatsächlich in dieser Allgemeinheit zutreffend? Könnte die Zurückdrängung des Kfz-Verkehrs in den Städten nicht vielmehr dazu beitragen, freie Bahn für Einsatzkräfte zu schaffen? Schließlich sind es oft Kraftfahrzeuge, die im Weg stehen, sei es, weil sie sich stauen und keine Rettungsgasse gebildet wird oder werden kann, sei es, weil illegal parkende Kfz Feuerwehreinfahrten, Kurven oder enge Fahrbahnen blockieren.

Bus- oder Radfahrstreifen: Beides könnte sich für Rettungsfahrzeuge eignen, um Staus zu umfahren.
Was Radfahrstreifen oder Fahrradstraßen angeht, ist sowohl rechtlich als auch technisch Einiges möglich, was die Reaktionszeiten der Rettungskräfte nicht beeinträchtigt oder sogar verbessern kann:
Grundsätzlich dürfen Polizei und Feuerwehr aufgrund des § 35 Abs. 1 StVO von ihren Sonderrechten Gebrauch machen, wenn es zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben dringend erforderlich ist. Entsprechendes gilt gemäß § 35 Abs. 5a StVO für Rettungsfahrzeuge, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Sie sind dann von den Vorschriften der StVO befreit und können daher auch Sonderwege benutzen, die für den Kfz-Verkehr nicht vorgesehen sind. Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO haben alle anderen Verkehrsteilnehmer sofort Platz zu schaffen, wenn dies durch das blaue Blinklicht der Einsatzfahrzeuge signalisiert wird. Dies gilt selbstverständlich auch für Fahrradfahrer.
Ob es auch technisch möglich ist, hängt davon ab, wie der Radfahrstreifen oder die Fahrradstraße ausgestaltet ist. Bei schmaleren Radfahrstreifen, die noch nach dem Regelmaß von 1,85 m der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der FGSV geplant sind, ist eine Benutzung durch Rettungsfahrzeuge in der Regel nur dann möglich, wenn sie nicht durch bauliche Maßnahmen, insbesondere Poller, geschützt sind oder diese überfahrbar gestaltet sind. Letzteres setzt voraus, dass die Schwellenhöhe acht Zentimeter nicht überschreitet. Da Fahrräder aufgrund ihrer wesentlich geringeren Platzbedarfs flexibler aus dem Weg geräumt und notfalls auf den Bürgersteig geschoben werden können, bringt ein ungeschützter (oder mit überfahrbaren Schwellen geschützter) Radfahrstreifen an schmalen Fahrbahnen gegenüber einem weiteren Kfz-Streifen oft sogar einen Vorteil für die Rettungssicherheit.
Weiterhin ist es natürlich auch möglich, dass Radverkehrsinfrastruktur so breit geplant wird, dass sie zugleich auch Rettungsfahrzeugen Platz bietet. Dies ist insbesondere bei Fahrradstraßen sowie Zweirichtungs-Radwegen im Regelmaß der Fall. Gegenüber Straßen, die vom Durchgangsverkehr genutzt werden und in denen es leicht zu Staus kommt, bieten sie Rettungsfahrzeugen oft bessere Bedingungen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Durchfahrtssperren auf eine Weise gestaltet sind, dass Rettungseinsätze nicht behindert werden, etwa durch Poller, die sich ferngesteuert herunterfahren lassen.
Außerdem ist es inzwischen rechtlich keineswegs mehr zwingend, dass für den Radverkehr nur Restflächen zur Verfügung stehen, die für den Kfz-Verkehr nicht gebraucht werden. Denn inzwischen können gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 b) StVO auch aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes und zur Förderung der städtebaulichen Entwicklung angemessene Radverkehrsflächen angeordnet werden, die zugleich in Notfällen als Rettungsweg dienen können. Radfahrstreifen müssten dafür mindestens drei Meter lichte Breite aufweisen, also breiter gebaut werden, als es die bisherige Regelbreite der ERA verlangt. Ohnehin ist die ERA durch die E Klima 2022 dahingehend modifiziert worden, dass die Regelbreiten nunmehr als Mindestbreiten zu verstehen sind.
Einen entsprechenden Vorschlag zur Ertüchtigung von Radfahrstreifen an neuralgischen Straßenabschnitten als sogenannten „Berlin Rescue Lanes“ hat die Fraktion der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus vorgeschlagen. Angesichts der häufigen Probleme von Rettungsfahrzeugen angesichts von Staus, erscheint das ein sinnvoller Vorschlag, der zeigt, dass Verkehrwende und Rettungssicherheit sich mit ein bisschen gutem Willen keineswegs ausschließen müssen. (Olaf Dilling)