re|Adventskalender – Das 6. Türchen: „Freie Bahn“ für Fuß- und Radverkehr

Dieses und letztes Jahr waren im Verkehrs­ver­wal­tungs­recht von einer Reform des Straßen­ver­kehrs­rechts geprägt. Sie wurde oft als ein Paradig­men­wechsel bezeichnet. Denn sie soll Kommunen erlauben, dem sogenannten Umwelt­verbund, also ÖPNV, Fuß- und Radverkehr mehr von den öffent­lichen Verkehrs­flächen zuzuweisen. Denn bisher dominiert der Kfz-Verkehr, übrigens im Gegensatz zum aktuellen Modal Split, der Aufteilung von Wegstrecken nach Verkehrs­arten. Im Berlin wurden 2023 nur noch 22% aller Wege mit dem Auto zurückgelegt.

In manchen Straßen ist die Diskrepanz besonders groß. Ein Beispiel ist die Mitter­mai­er­straße in Heidelberg. Wir hatten hier kurz vor Ostern schon einmal über sie berichtet, aber es hat sich in der Zwischenzeit was getan. Die Mitter­mai­er­straße verbindet den Haupt­bahnhof und die südlich des Neckars gelegenen Stadt­teile über eine von zwei Neckar­brücken (Ernst-Walz-Brücke) mit den nördlichen Stadt­teilen. Im Norden liegt das Neuen­heimer Feld mit vielen Start-Ups, das Uni-Klinikum und vielen Insti­tuten und Fakul­täten. Durch den Ausbau des Neuen­heimer Feldes im Norden und dem neuen Stadtteil Bahnstadt im Süden wächst die Zahl der Verkehrs­teil­nehmer in der Mitter­mai­er­straße seit Jahren stetig an. Das betrifft ganz überwiegend auch den Rad- und Fußverkehr.

Die Straße ist durch den alten Gebäu­de­be­stand in der Breite begrenzt. Derzeit ist sie unter­teilt in vier Fahrstreifen für den Kfz-Verkehr. Den „Rest“, ein enges Trottoir, müssen sich Zu-Fuß-Gehende und Radfah­rende teilen. Dieser war bisher als benut­zungs­pflich­tiger Getrennter Geh- und Radweg (Zeichen 241) mit getrennten Bereichen für den Fuß- und Radverkehr angelegt. Ein Blick auf Google Maps zeigt eng und gedrängt der Verkehr insbe­sondere auf Rad- und Gehwegen ist.

Die nahelie­gende Lösung, jeweils eine der Kfz-Fahrstreifen in einen Radfahr­streifen umzuwandeln, wird von der Straßen­ver­kehrs­be­hörde abgelehnt, mit der Begründung, dass die Leich­tigkeit des Kfz-Verkehrs zu gewähr­leisten sei. Dabei gibt es die Machbar­keits­studie eines Verkehrs­pla­nungs­büros. Mit wenigen Änderungen könnte ein Teil des Kfz-Verkehrs verlagert werden.

Inzwi­schen hat die Behörde die Radwe­ge­be­nut­zungs­pflicht aufge­hoben und Tempo 30 einge­führt. Zugleich wurde durch Pikto­gramme signa­li­siert, dass Fahrräder sowohl auf
dem Gehweg (allem Anschein nach weiterhin als getrennter Geh- und Radweg) als auch auf der Fahrbahn willkommen sind. Außerdem dürfen Lkws auf den zwei viel zu schmalen Fahrspuren nur noch rechts fahren.

Das war gewiss gut gemeint, führt jedoch weder für Zu-Fuß-Gehende noch für Radfah­rende zu einer wirklichen Verbes­serung. Denn auf dem Rad haben Sie nun die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Sie können entweder auf der Straße fahren, wo sich viele unsicher fühlen, da sie Gefahr laufen, von den Lkws bedrängt zu werden, oder sie können sich den viel zu schmalen Geh- und Radweg mit dem Fußverkehr teilen. Es macht die Sache nicht besser, dass der Weg zahlreiche Engstellen aufweist und Hausein­gänge, aus denen einem Bewohner überra­schend in den Weg treten.

Vor allem für den Fußverkehr bleibt die Lage unzumutbar: Wo vorher schon ein benut­zungs­pflich­tiger getrennter Geh- und Radweg bestand, wurden nun neue Radpik­to­gramme auf der linken Seite und Fußpik­to­gramme auf der rechten Seite des Gehwegs angebracht. Weiterhin bleibt für den Fußverkehr nur ein so schmaler Streifen, dass Stehen­bleiben oder Begegnung unmöglich ist und bereits ein Kinder­wagen oder Rollkoffer in den mit Radpik­to­grammen gekenn­zeich­neten Bereich hineinragt. Da kaum Radfah­rende die Straße nutzen, fahren viele auf „ihrem“ Streifen mit hohem Tempo und z.T. mit Lasten­rädern und Anhängern sehr dicht an Fußgängern vorbei. So kommt es zu erheb­lichen Behin­de­rungen und Gefähr­dungen für Fuß- und Radverkehr.

Aus Sicht der Verwaltung wird dadurch eine Möglichkeit der Verwal­tungs­vor­schrift zur StVO genutzt. Dort ist geregelt, dass „Gemeinsame Geh- und Radwege ohne Benut­zungs­pflicht (…) durch Aufbringung der Sinnbilder ‚Fußgänger‘ und ‚Radverkehr‘ gekenn­zeichnet werden“ können. Aller­dings entspricht der Weg nicht den Breiten­vor­gaben für Gemeinsame Geh- und Radwege und schon gar nicht denen für getrennte Geh- und Radwege, was angesichts der getrennten Anbringung von Pikto­grammen und des unter­schied­lichen Straßen­belags näher liegen würde (VwV-StVO, zu § 2, Rn 20 f).

Durch die Anordung der Pikto­gramme (rechts: Fußmar­kierung, links: Radmar­kierung) wird eine unver­än­derte Aufteilung der Sonderwege sugge­riert. Laut Planungs­un­ter­lagen der Stadt war jedoch ein gemein­samer Fuß- und Radweg „gemeint“, so dass Fußgänger  nicht gehindert wären, die volle Breite zu nutzen und nicht mit schnell fahrenden Radfahrern rechnen müssen. Ein klarstel­lendes Verkehrs­zeichen, was genau gewollt ist, findet sich nicht, denn dadurch würde eine Benut­zungs­pflicht angeordnet. Es ist vorher­sehbar, dass es hier auf einem ohnehin zu schmalen Geh- und Radweg zu Konflikten zwischen diesen schwächsten Verkehrs­teil­neh­menden kommt.

Daher würde es sich hier anbieten, aufgrund der neuen Rechts­grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7.b) StVO auf Basis eines verkehrs­pla­ne­risch-städte­bau­lichen Konzepts einen Teil der Kfz-Fahrbahn als Fläche für den Rad- und Fußverkehr zur Verfügung zu stellen. Der Gehweg könnte dann ausschließlich für den Fußverkehr freige­geben werden. Angesichts der geringen Breite, der starken Nutzung durch sowohl Zu-Fuß-Gehende als auch Fahrrad­fah­rende und der Hausein­gänge wäre dies ein längst überfäl­liger Schritt.

Im Namen einer Privat­person und mit Unter­stützung eines Radfah­rer­ver­bands haben wir hier Klage erhoben. Aus unserer Sicht hat die zuständige Straßen­ver­kehrs­be­hörde der Stadt Heidelberg ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Sie hat ihre Abwägung ohne ausrei­chende Berück­sich­tigung der Belange des Fuß- und Radver­kehrs getroffen. Sie hat außerdem die inzwi­schen fest im Straßen­ver­kehrs­recht veran­kerten Prinzipien „Sicherheit vor Leich­tigkeit des Verkehrs“ und „Vision Zero“ (keine Verkehrs­un­fälle mit Todes­folge oder schweren Perso­nen­schäden) als Grundlage aller verkehr­lichen Maßnahmen nicht beachtet (siehe VwV-StVO).  (Olaf Dilling)