Die deutsche Wirtschaft kränkelt, und da würde mancher gern beim Klima­schutz auf die Bremse treten. Auch wenn alle Akteure bekräf­tigen, dass das Ziel, 2045 (oder doch 2050??) nettonull zu emittieren, nicht in Frage steht, so wird Klima­schutz doch derzeit deutlich deprio­ri­siert. Für Unter­nehmen, die sich auf den bishe­rigen Zielpfad einge­stellt haben, bedeutet das eine neue Unsicherheit, mancher andere dagegen fragt sich, ob Inves­ti­tionen verschoben werden könnten. Doch wie frei ist Deutschland eigentlich, die Klima­ge­setze der Ampel wieder rückgängig zu machen, oder zumindest das Ziel von 65% Minderung bis 2030 zeitlich ein bisschen zu strecken?

Die je nach Stand­punkt erleich­ternde oder ärger­liche Antwort lautet: kaum. Denn Art. 20a des Grund­ge­setzes verpflichtet den Staat, die natür­lichen Lebens­grund­lagen zu schützen – ausdrücklich auch im Interesse künftiger Genera­tionen. Aus dieser Norm haben Verfas­sungs­rechtler ein auf das Grund­gesetz gestütztes Verschlech­te­rungs­verbot abgeleitet: Ein einmal erreichtes Schutz­niveau darf nicht ohne zwingenden Grund abgesenkt werden. Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat zudem in seinem Klima­be­schluss  2021 klarge­stellt, dass Klima­schutz eine Schutz­pflicht des Staates ist. Belas­tungen dürfen nicht einfach in die Zukunft verschoben werden, weil dies die Freiheits­rechte der kommenden Genera­tionen übermäßig einschränken würde.

Auch das europäische Recht gibt wenig Anlass zu der Hoffnung, man könnte den Ausbau der Erneu­er­baren und den Umbau der bisher fossilen Infra­struktur schlicht verschieben. Das EU-Klima­gesetz verpflichtet alle Mitglied­staaten, bis 2050 klima­neutral zu werden, und bis 2030 auf 55% zu reduzieren. Wird dieses Ziel verfehlt, rückt Klima­neu­tra­lität in weite Ferne. Zudem geben auch die Einzelakte der EU zum Teil ausge­sprochen detail­liert vor, wie und bis wann die Mitglied­staaten mindern müssen. Mit der Erneu­erbare-Energien-Richt­linie (RED III) ist bis 2030 ein Anteil von mindestens 42,5 % erneu­er­barer Energien am Endener­gie­ver­brauch vorge­schrieben, und die Gebäu­de­richt­linie (EPBD) zwingt die Mitglied­staaten zu drasti­schen Verbes­se­rungen der Energie­ef­fi­zienz im Gebäu­de­sektor. Auch der EU Emissi­ons­handel, der ab 2027 auch für Erdgas, Heizöl, Benzin oder Diesel gilt, steht nicht zur zeitlichen Dispo­sition der Mitgliedstaaten.

Zwar bietet das EU-Recht Flexi­bi­li­täts­me­cha­nismen wie den Handel mit Emissi­ons­zu­wei­sungen im Effort-Sharing-System oder statis­tische Transfers bei Erneu­er­baren. Doch diese haben nicht nur enge Grenzen, sie sind auch teuer: Schon heute warnt das Umwelt­bun­desamt, dass Deutschland bei Zielver­fehlung auf Milli­ar­den­kosten für Zukäufe zusteuern könnte. Hinzu kommen die Risiken von Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren durch die EU-Kommission und mögliche Verfas­sungs­be­schwerden im Inland.

Klima­schutz ist also nicht einfach ein politi­sches Projekt, das man nach Belieben beschleu­nigen oder bremsen kann. Er ist eine recht­liche Verpflichtung, doppelt abgesi­chert durch Grund­gesetz und Europa­recht. Wer beim Klima­schutz bremst, riskiert damit eine lange Verun­si­cherung des Marktes, die in Nieder­lagen vor Gericht enden können, und dazu hohe Zahlungen für Zukäufe, die am Ende der deutschen Trans­for­mation fehlen: Eine Vitamin­spritze für den deutschen Patienten sieht anders aus (Miriam Vollmer).

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